Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Von dem Moment, der so viel änderte

Morgens sitzen wir bei einem Kaffee zusammen. "Weißt du noch, wie du mir das Fahrradfahren beigebracht hast?", frage ich meinen Papa. Er sieht mir in die Augen und nickt. Ich gebe einem spontanen Impuls nach, rutsche mit dem Stuhl näher zu ihm heran und drücke mich in seinen Arm hinein. "Das war schön...", erinnere ich mich schmunzelnd an diesen warmen Sommertag. Plötzlich aber halte ich inne.
"Warte mal: Hey, du warst voll fies! Du hast mich frontal gegen einen Baum fahren lassen!", beschwere ich mich empört.

Er fängt an zu kichern, drückt mich sanft an sich und schüttelt den Kopf. "Es war anders, weißt du?", sagt er leise, "Irgendwann wusstest du, wie man Fahrrad fährt, aber du hast dich nicht getraut, alleine zu fahren. Ich musste dich immer am Gepäckträger festhalten, weil du Angst hattest, dass das Fahrrad umkippen könnte, während du es fährst.". Ich beobachte ihn. Sich erinnernd richtet er den Blick nach innen, hinein in sich selbst, und lächelt warm. "Aber weil du das Fahrradfahren so mochtest, wurdest du immer schneller. Und als ich schließlich nicht mehr mitrennen konnte, ließ ich den Gepäckträger los.", erklärt er. Dann lacht er: "Wer hätte denn auch ahnen können, dass du frontal gegen den nächsten Baum fährst?!"


*.*

Diese Woche haben wir ein Jubiläum gefeiert. 
Nein, das stimmt nicht ganz.
Wir haben das Jubiläum nicht gefeiert. 

Wir haben an diesen Tag gedacht, an diesen Tag vor zwei Jahren, an dem sich alles änderte. Für mich änderte es sich, als ich gerade im Baumarkt stand. Mein Telefon klingelte und Mama sagte: "Papa ist im Krankenhaus, komm sofort nach Hause.". Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie der Liebste mich zum Auto brachte, aber er tat es und er fuhr mich mehrere Stunden in meine Heimatstadt. Er war derjenige, der all die verwirrenden Formalitäten erledigte, Arztgespräche vereinbarte, mir Klopapierrollen reichte, als Taschentücher nicht mehr genügten, und mich Nachts zurück ins Bett holte, wenn ich mich auf Abwegen befand.

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170 Tage Krankenhaus.
Bilder:
Verschiedene Intensivstationen. Stöhnende Menschen. Der Geruch von Verbrennungen. Koma. Fixierung der Hände und Füße. Blut an den Wänden vom gezogenen Katheter. Seine Tränen. Drohungen. Bitten. Entzug. Schnapsflaschen im Handschuhfach, im Koffer, im Bücherregal. Kündigungen. Wir-haben-alles-gewusst-Gefasel. Ich laufe mit der Spiegelreflex durch den Garten und versuche den Frühling festzuhalten. Aber mir ist so unerträglich kalt. Und Papa spricht später von Aliens.

*.*

Geändert hat sich alles. Oft habe ich das Gefühl, mit diesen Änderungen nicht umgehen zu können. Der Mensch, der Monate später aus der Reha entlassen wird, ist mir fremd. Er hat sich an einem einzigen Tag in einen Alkoholiker und Lügner verwandelt. Nichts was ich weiß, ist noch sicher, weil alles, was ich erfahre, etwas anderes ist, als das, was ich zuvor wusste. Kein Stein bleibt auf dem anderen. Und irgendwann bin ich so nachhaltig erschöpft, bis in den Kern erschüttert, dass ich einfach nur noch funktioniere. Ein Todesfall, eine Trauerrede und zwei Tumorerkrankungen später, versuche ich, Uniprüfungen zu verschieben. Die Frau im Prüfungsamt bringt mich zum Heulen. Sie sagt: "Schreiben Sie die Prüfungen, es wird kein Weg daran vorbeiführen. Wenn Sie sie nicht schreiben, gilt das als ´durchgefallen´.". Dass das die letzten drei Prüfungen sind, die ich bestehen muss, um meine Abschlussarbeit schreiben zu können, und dass ein Versagen in wenigstens einer davon zu einer Zwangsexmatrikulation führen würde, interessiert sie nicht. Ich steuere mein Auto mit 170 km/h über die Autobahn, bewundere die untergehende Sonne und denke: Eigentlich musst du das Lenkrad nur loslassen. Wie viel ist dir ein Moment voller Verantwortungslosigkeit wert?

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Heute sind wir am Leben.
Wenn ich ehrlich bin, meistern wir das noch nicht besonders gut. Das Leben. Ich habe zwar mein Studium abgeschlossen, aber das Verhältnis zu meinem Papa ist... schwierig. Damit zurechtzukommen, dass er nicht so unfehlbar ist, wie ich es als kleines Mädchen immer dachte, fällt mir schwer. Ich fühle mich oft hilflos und meine Hilflosigkeit macht mich wütend. Wenn ich diese Wut zeige, zieht er sich vollkommen zurück und lässt mich ins Leere laufen. Ihm ist es peinlich, dass sein Körper nicht mehr so will, wie er es vorgeben möchte. Der Alkohol und der berufliche Stress haben ihn zermürbt. Er ist jetzt langsamer. Im Kopf. Und auch in allem, was er tut. Das zu sehen, tut mir weh. Und gezwungen zu werden, etwas akzeptieren zu müssen, kostet Kraft. Es fühlt sich an, als würde ich wieder und wieder... gegen Mauern rennen. Gegen mich selbst.

Nichtsdestotrotz sind wir am Leben. Vielleicht können wir das noch nicht so besonders gut. Das Leben. Aber... Wir werden es einfach so lange üben, bis wir es besser können. Und ich bin für jeden einzelnen Tag, der mir in den letzten zwei Jahren geschenkt wurde, dankbar. Ich hab ihn sehr lieb. Meinen Papa. Und ein Leben ohne ihn kann und will ich mir nicht vorstellen.

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