Mitten in der Nacht springen wir einfach um ein paar Jahre zurück. Ich lasse die Leiter herab, die auf den Dachboden führt, greife nach der Hand meines ältesten Freundes und lächle ihn, ein wenig fragend, an. Er sieht mir in die Augen und nickt. Ich fühle mich, als würde er mir direkt ins Herz sehen.
Auf dem kleinen Dachfenster liegt Staub. Meine Fingerspitzen malen Kreise hinein, als ich versuche, es zu öffnen. Es klemmt an allen Ecken und Enden. „Wir waren viel zu lange nicht mehr hier.“, stellt Harry fest und dieses Mal bin ich diejenige, die nickt. Seine Worte jagen mir einen wohligen Schauer über den Rücken. „Es wird Zeit, dass wir neue Geschichten schreiben.“, entschlüpft es mir, kontext- und gedankenlos. Er lächelt schief.
Das Fenster öffnet sich mit einem Ruck und eine graue Staubwolke löst sich. Ich muss lachen, halte meine Finger in den Staub hinein und zerreibe ihn zwischen den Fingerkuppen. Die kalte Nachtluft schwappt in den dunklen Dachboden hinein und zaubert mir eine Gänsehaut. An den Außengriffen ziehe ich mich nach draußen. „Sei vorsichtig…“, tönt es von innen. Ich beiße mir auf die Lippen, um mir ein „Ja, ja.“ und ein Schmunzeln zu verkneifen. Wenn sich auch vieles in den vergangenen Jahren verändert hat, so ist eines stets gleich geblieben: Sein unermüdliches Bedürfnis danach, mich zu beschützen.
Ich lasse mich auf dem Dachfirst nieder und nehme die Getränke entgegen, die Harry mir reicht. Er schaltet leise Musik an, schwingt sich elegant nach draußen und setzt sich neben mich. Eine Zeit lang sitzen wir stumm nebeneinander, starren in die dunkle Nacht hinaus, spüren den Wind auf der Haut und lauschen Marie Fredriksson. In weiter Ferne, kaum noch erkennbar, leuchtet das Wahrzeichen der Stadt. Irgendwann, als die Musik verstummt, stehe ich auf. Die Welt vor meinen Augen schwankt ein wenig, aber ich lasse mich davon nicht beeindrucken. Ich schmiege mich einfach noch näher an sie heran und spüre Louis Armstrong nach, der mir auf den Lippen liegt. Erst summe ich, kaum hörbar vor mich hin, später singe ich leise. What a wonderful world.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen
Willkommen im Zauberreich. Da dieser Blog ziemlich viel persönlichen Krimskrams enthält, lassen Sie uns einander doch duzen:
Schreib mir gerne einen Kommentar, bringe mich zum nachdenken, schmunzeln oder lachen. Aber bitte vergiss nicht, dass dieser Blog ein Spiegel meines Innen- und Gedankenleben ist. Ich würde mich demnach freuen, wenn du deine Worte sorgfältig wählst und behutsam mit den Dingen umgehst, die ich hier niederschreibe. Außerdem möchte ich dich darum bitten, mir deinen Namen oder wenigstens ein Kürzel unter dem Kommentar zu hinterlassen, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe. Dankeschön!
Bitte beachte zudem, dass die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://zauberreich.blogspot.de/p/datenschutz.html) und in der Datenschutzerklärung von Google.