Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Muske(l)tier

So. Dieser Post muss jetzt raus. Er ist nicht fertig, vermutlich nicht rechtschreibfehlerlos, alles andere als perfekt, aber ich habe das Schreiben an ihm über und ich glaube, es geht mir besser, wenn ich die niedergeschriebenen Gedanken endlich loslassen, das alles endlich loslassen kann. 

... 

Ich bin ganz unbegeistert, als ich morgens um 7:30 Uhr zur Arbeit fahre und von meinem Handy aus meiner Tanz-Mitsing-Musikextase gerissen werde. Anscheinend habe ich am Abend zuvor vergessen, die Rufumleitung vom Büro auf mein Handy zu trennen und jetzt nervt jemand.
Fabelhaft.
Aber nicht ranzugehen, ertrage ich auch nicht. Gerade will ich also den Anruf annehmen, als ich deine Nummer auf dem Display erkenne. Mein Herz rennt ohne Vorwarnung los und ich zucke vor meinem Telefon zurück, als hätte ich mich verbrannt. Okay, das ist zweifellos verrückt und, ehrlich, es mir vollkommen bewusst. Ich bin überfordert mit diesem Haufen an Gefühlen, den ich nicht zuordnen und schon gar nicht begründen kann. Mit Gefühlen, die ich nicht kenne, weil ich sie grundsätzlich nicht mehr habe. Was ist los mit mir? Ist mein Chemie-Haushalt durcheinandergeraten? 
Auf keinen Fall will ich, dass du mir irgendetwas davon anmerkst. Also starre ich das klingelnde Telefon an und warte bis du aufgibst. Aber ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich es mag, dass du gerade an mich denkst. Sehr. 

Zwei Stunden später rufe ich dich zurück. Wir tauschen ein paar berufliche Dinge aus und landen, wie immer, innerhalb kürzester Zeit bei anderen Themen. Als du erzählst, dass es dir oft schwerfällt, nach der Arbeit abzuschalten, muss ich mir unwillkürlich vorstellen, was für ein lustiges Paar wir wären, wenn du abends unruhig und nicht zur Ruhe kommend durch die Wohnung rennst und ich nachts, neben dir im Bett liegend, innerlich meine to-do-Listen schreibe. 
"Dafür gibt es doch ein Handy!", entgegnest du mir lachend und es wundert mich wenig, dass du durchblicken lässt, dass dir das nächtliche Listenschreiben nicht fremd ist.
"Gesund ist das aber nicht...", stelle ich fest.
"Ja.", stimmst du mir zu, "Vielleicht brauchen wir einfach neue Jobs..."
"Du darfst nicht gehen.", schiebe ich schnell ein, "Ich brauche hier ordentliche Leute und wenn du gehst hab' ich niemanden mehr, mit dem ich wirklich offen reden kann."
"Woah.", du seufzt, "Du weißt, dass das runtergeht wie Öl, oder?"

Ja, ich weiß das. Ich kann es an deiner Stimme hören. Und ich spüre, dass du viel zu wenig Wertschätzung im Job erfährst. Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass man nicht sehen will wie gut du deine Arbeit machst, vor allem wenn man berücksichtigt wie bescheiden die Personalressourcen sind, die man dir zur Verfügung stellt. Du und deine Mitarbeiter werden sehenden Auges kaputt gespielt. Das mitzubekommen, kann ich nur schwer ertragen, wahrscheinlich weil ich selbst viel zu lange in einem solchen Job gefangen war.

Später erzählst du mir, dass du nun Urlaub hast und obwohl ich dich vermissen werde, freue ich mich für dich und frage nach deinen Plänen für die kommenden Tage. Du erzählst von Renovierungsdingen und harter, körperlicher Arbeit.
"Oh, wow. Dann kommst du ja bestimmt mit einem ganz schönen Muskelkater aus deinem Urlaub wieder.", stelle ich fest, als du mir erzählst, was du alles vorhast.
"Muskelkater?! Pah!", rufst du empört, "Hast du mich mal angesehen?! Ich bin v-o-l-l durchtrainiert!"
Ich kichere, aber du lässt dich nicht beirren.
"Wirklich! Ich bestehe quasi aus Muskeln. Ich bin ein einziger, lebender Muskel! Ein Tier! Ich bin ein Muskeltier! Na gut, ein fast 50jähriges Muskeltier, aber hallo?! Muskeltier!!! Auf jeden Fall!"
Ich muss so sehr über deinen Monolog lachen, dass ich mich fast verschlucke. Und im nächsten Moment wird mir bewusst, dass du bestimmst denkst, dass ich lache, weil ich dir nicht glaube. Du bist kein Pumper, niemand der sein Trainiertsein zur Schau stellt, dem man es sofort ansieht. Aber, Herr im Himmel, glaubst du wirklich, ich hätte übersehen, wie sportlich du bist? Du klingst fast so, als würdest du glauben, dass ich dich nicht ansehe, nur weil du zehn Jahre älter bist als ich. Aber das kann doch nicht sein? Glaub mir, ich weiß, dass du durchtrainiert bist! Mein Problem ist nicht, dass ich das nicht weiß, sondern dass ich nicht daran vorbeigucken kann, du Vollarsch. Dabei würde ich so gerne ein bisschen weniger an dich und deinen scheiß perfekten Körper denken. Und am liebsten würde ich noch dreimal "scheiße" schreiben, um endlich diesen Druck abbauen zu können, der seit Tagen in meinem Brustkorb wohnt. Scheiße.

"Na gut.", lenkst du schließlich ein und ich kann das Lächeln in deiner Stimme hören, "Du hast recht! Ich werde mit verflucht-scheiß-Ganzkörpermuskelkater wiederkommen."
Wir lachen.
"Mach nicht nur anstrengende Sachen.", erwidere ich schließlich lächelnd, "Mach auch etwas schönes, was dir gut tut."
Ich bilde mir ein, dich nicken zu hören.
"Ich würde gerne weiter mit dir telefonieren, aber ich muss in den nächsten Termin.", sagst du irgendwann und ich frage mich, ob das Bedauern in deiner Stimme ehrlich ist. Denn je näher ich dir komme, desto größer wird die Angst. Und die Angst stellt seltsame Fragen. Sie sät Misstrauen und wirft Zweifel auf. Obwohl du selbst nichts dafür tust solche Gefühle zu befeuern, gar nichts.

Normalerweise fühle ich mich nach jeder Art von Kontakt mit dir stundenlang high. Heute ist das anders. Als wir uns verabschiedet haben, für meinen Geschmack ein wenig zu schnell und lieblos, ist mein Herz schwer.
Du bringst mich aus dem Takt, H. Und ich glaube, dass du das mehr tust, als es für mich gut ist. Unser Miteinander verliert für mich langsam an Leichtigkeit. Nicht solange wir im direkten Kontakt sind - während wir uns sehen oder mit einander telefonieren, ist alles wunderbar. Aber danach denke ich zu oft an dich und obwohl du nichts dafür tust, intensivieren sich meine Gefühle. Das kenne ich nicht von mir und es macht mir Angst. All diese Gefühle führen nämlich in eine Sackgasse:
Zum einen bin ich nicht zu haben und das ist tatsächlich gar nicht diskutabel. Zum anderen will ich nicht, dass du dir an mir die Finger verbrennst, wenn schon von vornherein klar ist, dass unsere Geschichte kein glückliches Ende nehmen kann. Das hast du nicht verdient. 
Fakt ist allerdings auch, dass sowohl das Eine als auch das Andere dazu führt, dass ich nicht weiß, was ich tun soll. Ich befürchte, ich habe mich tatsächlich ein wenig in dich verguckt.

Was soll ich also tun?
Den Kontakt zu dir reduzieren? Private Gespräche auf ein Minimum beschränken? Das klingt vernünftig, aber vermutlich fehlt mir dazu die Selbstdisziplin. Denn zum einen bin ich bin viel zu neugierig auf dich und zum anderen fällt es mir viel zu leicht, ehrlich zu dir zu sein. Du machst es mir so herrlich einfach, das Herz auf der Zunge zu tragen und schätzt diese Eigenschaft sogar noch an mir. "Mit dir kann man reden.", sagst du dazu. Und ich mag an uns, dass wir in unserem Miteinander eben nichts verklausulieren müssen.
Die Betreuung deines Bereiches abgeben? Das könnte ich sicherlich. Ich müsste nur einen brauchbaren Grund erfinden, um meine Kollegen dazu zu überreden, die zusätzliche und nicht ganz unerhebliche Arbeit zu übernehmen. Und dich. Als viel zu direkten, polternden, unbequemen, nervigen Ansprechpartner. Aber was sage ich dann dir? Ich habe so ausdauernd daran gearbeitet, dich von mir und meiner Arbeit zu überzeugen, dass es sich jetzt wie ein Vertrauensmissbrauch anfühlt, mich von dir abzuwenden. 
Tatsächlich würde es mir am leichtesten fallen, dir einfach die Wahrheit zu sagen:
"Hey, H., ich finde dich leider absolut großartig und möchte mich dir permanent nackt an den Hals werfen, wenn wir uns sehen - deshalb kann ich nicht weiter mit dir zusammenarbeiten, sei bitte nicht böse." 
Ich weiß, dass du das sogar verstehen würdest. Mehr noch: Ich bin mir sogar sicher, dass du mich nach Hause schicken würdest, denn du weißt, was ich verlieren könnte. Und weil dir fehlt, was ich habe, weißt du umso besser wie beschenkt ich mich fühlen darf und würdest mich zwingen, das nicht aufs Spiel zu setzen, nicht wahr?

Natürlich werde ich dir nicht die Wahrheit sagen. Ich werde gar nichts sagen. Stattdessen werde ich an diesem Freitag nach Hause fahren und nach dem Wochenende in eine wirklich miserable Woche hineinrutschen. Eine Woche mit viel Ärger und Frustration, in der ich darunter leide, dich nicht als Verbündeten und Menschen, dem ich mich anvertrauen kann, erreichbar zu wissen. Du fehlst mir. Und das nicht nur im beruflichen Kontext.
Aber ich werde diese Zeilen an dich nun beenden und mir vornehmen, nicht mehr an dich zu denken. Ich schiebe dich gedanklich weg und hoffe, dass meine Gedanken sich nur irrtümlich zu dir verlaufen haben und ich mich selbst in etwas hineindenke, was gar nicht da ist. 
Denn so ist das doch, oder? Da ist nichts zwischen uns. Außer einem Haufen Einbildung meinerseits. Also versuche ich jetzt, dich loszulassen.

Mach es gut, H. 
Du bist toll. Und ich hoffe, du bist glücklich.





Kommentare

  1. Das ist einer der schönsten..."Abschiedsbriefe", wie ich ihn selbst mir heimlich immer mal gewünscht, aber nie erhalten habe, ich musste lächeln beim Lesen.

    Das ist großartig.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Willkommen im Zauberreich. Da dieser Blog ziemlich viel persönlichen Krimskrams enthält, lassen Sie uns einander doch duzen:

Schreib mir gerne einen Kommentar, bringe mich zum nachdenken, schmunzeln oder lachen. Aber bitte vergiss nicht, dass dieser Blog ein Spiegel meines Innen- und Gedankenleben ist. Ich würde mich demnach freuen, wenn du deine Worte sorgfältig wählst und behutsam mit den Dingen umgehst, die ich hier niederschreibe. Außerdem möchte ich dich darum bitten, mir deinen Namen oder wenigstens ein Kürzel unter dem Kommentar zu hinterlassen, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe. Dankeschön!

Bitte beachte zudem, dass die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://zauberreich.blogspot.de/p/datenschutz.html) und in der Datenschutzerklärung von Google.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Vom Kaffee und vom Leben

Vom Unglücklichsein

Vom Schmerzgedächtnis