Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom letzten Eindruck

Einer der letzten Eindrücke aus 2021:

Eine uralte Dame sitzt, mitten im Discounter, ganz gebückt in ihrem Rollstuhl. Mit Tippelschritten bewegt sie sich unendlich langsam vorwärts. Dabei flüstert sie mit dünner Stimme. Hilfe. Hilfe. Hilfe. Die Menschen hasten an ihr vorüber.

Ich hab es eigentlich auch eilig. Will nach Hause. Und zögere, über meinen eigenen Schatten zu springen. Da ist diese Berührungsangst. Eine Hemmschwelle. Und vielleicht auch die egoistische Befürchtung, vereinnahmt zu werden? Ich kann es nicht gut genug in Worte kleiden.

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass es nicht jedem Tag so ist. Das ich nicht jeden Tag dazu in der Lage bin, zu helfen. Aber heute ist ein guter Tag. Heute kann ich es. Ich hocke mich vor sie - Ist das falsch? - und frage, ob sie Hilfe braucht. Sie spricht so leise. Die Stimme zart und so erbrechlich. Es dauert ein paar Sekunden, ehe ich verstehe. Auch ehe ich die Musik, die viel zu laut durch den Supermarkt dröhnt, ausblenden kann. 

Die alte Dame braucht Milchreis. Aber da sie nicht aus ihrem Rollstuhl aufstehen kann, kann sie ihn weder finden noch sich nehmen. Für einen Moment frage ich mich unwillkürlich, wer seine Mutter, Oma oder Uroma, die sich in so schlechter gesundheitlicher Verfassung befindet, alleine einkaufen gehen lässt. Oder ist sie alleine? Hat sie niemanden mehr? Sie muss für einen Einkauf ewig brauchen. Und den Heimweg mag ich mir nicht vorstellen. 

Wir suchen den Milchreis gemeinsam. Im Anschluss packe ich ihr die Einkäufe, die sie in ihrem Schoß gesammelt hat, in die Tasche hinter ihrem Gefährt. Dann gehen wir zur Kasse. Ich wünsche ihr alles Gute. Und sie mir. Und unsere Begegnung berührt mich. Nachhaltig. Sie wird mich noch mehrere Tage begleiten. Vielleicht länger. 

Wir sollten unsere Alten nicht so alleine lassen. Das ist nicht gut. Und das tut mir leid. Ich denke an meine Oma. Ich hätte mich mehr um sie kümmern sollen. Bevor sie versucht hat, der Isolation und der Einsamkeit im Altersheim zu entfliehen. Mit einem Sprung aus Fenster. 

Seitdem sie verstorben ist, glaube ich manchmal, dass ich heute öfter an sie denke, als zu ihren Lebzeiten. Manche Lektionen, die einen das Leben lehrt, sind einfach bitter. Manchmal glaube ich, dass wir noch nie im Leben so alleine waren, wie wir es heute sind. 


Kommentare

  1. Das ist nicht schön. 
    Vermutlich hast Du Recht mit Deinem letzten Satz. Für viele trifft das sicher zu.

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen

Willkommen im Zauberreich. Da dieser Blog ziemlich viel persönlichen Krimskrams enthält, lassen Sie uns einander doch duzen:

Schreib mir gerne einen Kommentar, bringe mich zum nachdenken, schmunzeln oder lachen. Aber bitte vergiss nicht, dass dieser Blog ein Spiegel meines Innen- und Gedankenleben ist. Ich würde mich demnach freuen, wenn du deine Worte sorgfältig wählst und behutsam mit den Dingen umgehst, die ich hier niederschreibe. Außerdem möchte ich dich darum bitten, mir deinen Namen oder wenigstens ein Kürzel unter dem Kommentar zu hinterlassen, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe. Dankeschön!

Bitte beachte zudem, dass die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://zauberreich.blogspot.de/p/datenschutz.html) und in der Datenschutzerklärung von Google.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Vom Kaffee und vom Leben

Vom Unglücklichsein

Vom Schmerzgedächtnis