Von Otto

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Es ist kurz vor Weihnachten, als ich dein Angebot, mich in deine Wohnung zurückzuziehen, um etwas Ruhe zu finden, das erste Mal wahrnehme. Ich finde den Ersatzschlüssel dort, wo du es mir gesagt hast, und öffne deine Wohnungstür. Bereits während des Eintretens verursache ich vermutlich, bepackt mit diversen Tüten, mehr Chaos, als diese Wohnung jemals gesehen hat. Kichernd knipse ich ein Foto davon und frage mich, wie du wohl gucken würdest, wenn du mich jetzt sehen könntest. Und ob du wirklich glaubst, ich würde Ruhe in deiner Wohnung suchen. Während du auf Arbeit fleißig bist, habe ich stattdessen die Pflanzenläden deiner Stadt abgeklappert. Es ist kaum zu glauben, aber es war gar nicht so leicht, ein kleines Weihnachtsbäumchen zu finden. Offenbar steht man in deiner Stadt auf kunstschneebedeckte Zypressen. Die mag ich nicht. Also: Zypressen sind schon ganz hübsch, aber der Kunstschnee ist eben unecht und fürchterlich kitschig. Nach mehreren Versuchen habe ich in der hintersten Ecke d

Vom Irren

Es ist nicht so, dass ich nicht versucht habe, mich mit ihm darüber zu unterhalten. Aber wenn ich daran denke, wird mir übel. Weil ich seine Argumentation so unterirdisch finde.
"Was soll ich denn tun, wenn ich dich anfassen will? Dann muss ich das doch."
"Ich kann nichts dafür, dass du scharf bist."
"Du tust ja gerade so, als hätte ich dich vergewaltigt."
"Nicht, dass du jetzt zu einer frigiden Trulla wirst!"

Heute hat mich jemand, der diesen Blog liest, gefragt, ob mich dieses Thema, das ich in meinem Jahresrückblick angeschnitten habe, noch beschäftigt. Meine Antwort war "Ja." Danach konnte ich nicht mehr sprechen, weil der müselig zusammengekleisterte Staudamm sich angefühlt hat, als wäre er kurz davor, zu brechen. Ich hatte sofort Tränen in den Augen und einen riesigen Kloß im Hals. Das hat mich selbst erschrocken. Bisher war mir nicht bewusst, wie tief meine Empfindungen dazu gehen. Aber wie sollte mir das auch bewusst sein: Ich habe ja nie darüber gesprochen. Wenigstens bis heute nicht. Wenn man ein einzelnes Wort ("Ja.") denn als darüber sprechen bezeichnen kann.

Seit dem Tag, an dem er übergriffig geworden ist, haben wir uns nicht mehr gesehen.
Wenn er mich anruft, beantworte ich seine Anrufe nicht.
Heute allein hat er es bisher fünfmal versucht.
Und immer, wenn das Telefon klingelt, zucke ich zusammen und frage mich, wie ich mich so in einem Menschen irren konnte.
Wir kennen uns fast mein ganzes Leben.

Kommentare

  1. "Was soll ich denn tun, wenn ich dich anfassen will? Dann muss ich das doch."
    "Ich kann nichts dafür, dass du scharf bist."
    "Du tust ja gerade so, als hätte ich dich vergewaltigt."
    "Nicht, dass du jetzt zu einer frigiden Trulla wirst!"

    verstehe ich nicht. den kontext.

    aber egal. wenn jemand, etwas tut, was ein anderer nicht möchte, dann ist das ein no go.
    wir müssen uns natürlich daran erinnern, dass wir zeichen setzen. in sprache, gestalt oder mimik. das kann falsch verstanden werden.

    ich setze da immer auf ehrlichkeit. sagen, sprechen, was man will oder denkt. in zukunft wünsche ich dir dass dir/euch das gelingt. das ist der schlüssel.

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    1. Was Zeichen, Mimik und Gestik angeht, bin ich nicht deiner Meinung. Wenn ich jemandem sage, dass ich von ihm nicht angefasst werden will, dann will ich das nicht.
      Und die oben aufgeführten Gründe, die du ganz oben in deinem Kommentar auflistest, sind - in meiner Welt - vollkommen idiotisch. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, jemanden gegen seinen Willen anzufassen.

      Ich werde mit ihm gar nicht mehr (darüber) sprechen. Denn ehrlich war ich, als ich mehrfach "nein" gesagt habe und er das ignoriert und sich unterdessen über mich lustig gemacht hat.
      Im besten Fall sehen wir uns niemals wieder.

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  2. Nein heißt nein. Wenn er das nicht respektieren kann, ist er der Falsche für Dich.
    Sag´ es ihm. Habe den Mut. Danach wird es Dir besser gehen.
    Und denke daran: ER hat den Fehler gemacht, nicht Du.
    Ich drück´ Dir alle Daumen, Du musst aus diesem Seelendilemma raus.

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    1. Hab ich ihm schon gesagt. Aber das hätte ich mir auch sparen können. Wobei - es hat mir die Entscheidung, welche Konsequenzen ich ziehe, wesentlich erleichtert.

      Und jetzt bleibt nur: Abhaken. Weitermachen.

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  3. "Du musst aufpassen, dass du durch dein Verhalten nicht bald als frigide angesehen wirst" hat mir auch mal jemand um die Nase geknallt, als ich NEIN gesagt habe.
    Verletzter männlicher Stolz von innerlich unsicheren Männern (das merkt man ihnen aber nicht an), die andere klein machen müssen, um sich größer zu fühlen. Weiß ich heute. Damals wusste ich es leider noch nicht.
    Allein daran, dass er dich trotz deiner Ignoranz ihm gegenüber immer noch zu kontakten versucht, zeigt, wie klein er in Wahrheit ist und sich auch fühlt. Und das will er unbedingt korrigieren. So seh ich das.

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    1. Hm. Um ehrlich zu sein, kann ich mich gegen den Rest Hoffnung nicht wehren, dass er deshalb versucht, den Kontakt zu mir herzustellen, weil er seinen Fehler eingesehen hat. Aber wer weiß.

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  4. Sprich darüber. Schreib es nieder. Sonst eitert es.

    Gruß aus Taormina

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    1. Ja. Irgendwann bestimmt.
      Immerhin habe ich angefangen, darüber zu schreiben. Das ist vielleicht ein Anfang...

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  5. Du hast das einzig Richtige getan, Konsequenzen zu ziehen. Denn so ein Übergriff ist inakzeptabel und seine Argumentation ist ein Schlag ins Gesicht und einfach nur dumm. Ich wünsche Dir, dass Du Deinen Frieden wiederfindest.

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