Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom Trinkverhalten II

Teil I

"Ich habe mir durch den Alkohol mein ganzes Leben versaut. Für mich ist es zu spät.", erzählt er, um dann einen Moment innezuhalten. "Aber du, du kannst etwas für dich tun. Denn - und ich hoffe, du nimmst mir das nicht übel - dein Trinkverhalten kommt mir auch nicht so ganz sauber vor. Für ein Mädchen kannst du ganz schön bechern. Pass bitte auf dich auf..."

Das ist nichts, was ich hören will. Ich kann förmlich spüren, wie ich mich seinen Worten widersetze, sie zur Seite schiebe, um sie schnellstmöglich zu vergessen.
Und doch: Seine Worte werden mich noch lange begleiten.
Selbst dann noch, als ich mein Trinkverhalten schon lange geändert habe.


Der Leistungsdruck in meinem neuen Studium ist enorm hoch. Nach einem geisteswissenschaftlichen Grundstudium habe ich mich für ein naturwissenschaftliches Aufbaustudium entschieden. Somit fehlen mir eine Menge Grundlagen, die ich mir selbst beibringen muss, um die Kurse für Fortgeschrittene überhaupt annähernd verstehen zu können. Besonders Jura und Betriebswirtschaftslehre machen mich fertig. Klageerwiderungen ohne juristisches Grundwissen zu schreiben, ist schwierig. Vor allem, wenn es sich nicht um deutsches, sondern europäisches Recht handelt. Aber mein absolutes Hassfach toppt immer noch alles: "Management Accounting". Stundenlang sitze ich vor der Vorlesungszusammenfassung wie ein Schwein vorm Uhrwerk. Alles in mir schaltet auf Abwehr.  Und mir ist total bewusst, dass sich die Barriere in meinem Kopf befindet. Denn intellektuell wäre ich, wie ich glaube, vermutlich schon dazu fähig, zu verstehen. Aber ich brauche nur all die Zahlen und Formeln zu sehen, um zu wissen, dass ich dieses Fach nie, nie, niemals können werde. Trotzdem bin ich fest entschlossen, dieses Studium zu bestehen. Ich bin stur, unfassbar trotzig, störrisch wie ein Esel. Und deshalb arbeite ich hart für meine Erfolge, bestimmt dreimal so sehr wie meine Kommilitonen, die ich zwar allesamt blöd finde, von denen ich aber insgeheim weiß, dass sie schlauer sind, als ich es vermutlich je sein werde. Wenigstens fachlich. In menschlicher Hinsicht bin ich mir nicht so sicher.

In dieser Zeit reise ich viel. Einfach nur, um Abstand von all dem zu gewinnen, was mich bedrückt. Es sind preiswerte Reisen, denn viel Geld habe ich nicht. So zieht es mich beispielsweise, nur mit einem Rucksack bewaffnet, nach einem Hardcore-Festival in der Nähe von Frankfurt zum nächstgelegenen Flughafen, wo ich einen Sitzplatz für einen der kommenden Flüge erwische und mich schließlich auf Mallorca, in einem ziemlich niedlichen Hotel am Ballermann, wiederfinde. Außerhalb der Saison ist hier nur wenig los. Das genieße ich sehr. Weil mich die berühmte Partymeile eher nicht interessiert und ich betrunkenen Männergruppen, besonders in den Abendstunden, eher skeptisch bis ängstlich gegenübertrete, bewege ich mich per Bus über die Insel. Immer mal wieder bleibe ich in den kleinen, fast malerischen Bergdörfern, wie etwa Fornalutx, hängen. Es ist leicht, mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Künstler, Philosophen und deutsche Auswanderer lerne ich kennen. Sie alle unterfüttern, mit ihren lachenden Augen und ihrer Herzlichkeit, meine Sehnsucht danach, aus meinem Leben auszubrechen. Jede Faser meines Körpers strebt nach mehr: Ich möchte mehr von der Welt sehen, mehr erleben, mehr fühlen. Von der Haarwurzel bis zur Fußspitze kitzelt mich die Sehnsucht. In diesen Momenten bin ich so lebenshungrig, dass ich es kaum auszuhalten vermag.
Deshalb treibt es mich schon wenige Wochen danach auf die nächste kleine Reise. Dieses Mal erobere ich, zusammen mit meinem ältesten Freund, die griechischen Inseln. Dabei fahren wir abwechselnd Moped und Quad. Ich fühle mich frei, wenn wir uns ohne Landkarten und ohne jegliches Zeitgefühl über die Inseln bewegen: Meine Haare flattern im Fahrtwind, ich kann das Salz des Meeres auf den Lippen schmecken und den milden Wind auf meiner Haut spüren. In diesen Momenten hüpft mein Herz. Tage später lassen wir uns in der bezaubernden Hafenstadt Chania nieder. Dort treiben wir durch die schmalen, vollkommen verwinkelten Gassen, tanzen auf dem Wochenmarkt zu griechischer Folklore und versacken abends in winzigen, aber unfassbar liebevoll eingerichteten Kneipen bei rotem Hauswein und Ouzo. An unserem letzten Abend zieht es uns gegen Mitternacht ins Meer. Als wir kurz darauf auf dem Heimweg, mit nasser Kleidung und feuchten Haaren, von zwei hübschen Polizisten angehalten werden, versuche ich schüchtern lächelnd auf spanisch zwei Bier zu bestellen - ich kann doch nur drei Brocken griechisch. Die Griechen aber lassen uns lachend ziehen. Wie gerne würde ich noch ein paar Wochen hier bleiben.

Wieder Zuhause angekommen, sehe ich mich erneut mit dem Uni-Leistungsdruck und meiner Frustration konfrontiert. Außerdem fühle ich mich hier, in dieser Studienstadt, unter der Woche einsam. All diese Empfindungen kompensiere ich hauptsächlich mit Essen. Damit tröste ich mich über besonders harte Tage hinweg, belohne mich für Lernerfolge und ermutige mich bei Misserfolgen. Aber der Preis dafür ist hoch, denn irgendwann fühle ich mich nicht mehr wohl in meiner Haut. Weil ich mich fett und unansehnlich fühle. Nur reichen diese Gefühle noch nicht, um etwas zu ändern. Stattdessen beginne ich damit, Spiegel, spiegelnde Oberflächen, Waagen und Fotografien von mir selbst zu meiden. Außerdem höre ich auf, in der Öffentlichkeit zu essen. Weil ich mich dafür schäme, dick zu sein. Oder mich zumindest so zu fühlen. Manchmal trinke ich jetzt auch Zuhause etwas. Einmal in der Woche. Wenn ich alleine bin. Ganz tief in mir versteckt schlummert zwar die Gewissheit, dass das so nicht in Ordnung ist, dass es nicht richtig sein kann, alleine zu trinken. Aber jedweden Gedanken dieser Art, das schlechte Gewissen und die Schuldgefühle, schiebe ich einfach von mir. Stattdessen verschwende ich meine Zeit mit Unglücklichsein. Und werde darüber immer mopsiger, kontrollloser, maßloser, deprimierter, verzweifelter. Was ich nicht erkennen kann, weil ich viel zu tief in mir selbst drinstecke, förmlich "betriebsblind" mir selbst gegenüber bin, ist der Teufelskreis, in den ich mich selbst immer tiefer hineinkatapultiere:
Denn weil es sich anfühlt, als wäre es zum Abnehmen zu spät und meine Figur eh hoffnungslos ramponiert, esse und trinke ich einfach weiter. Fast Food und Cola. Was dazu führt, dass ich mich noch schlechter fühle. Und wiederum noch intensiveren Gelüsten nachhänge.
Den Alkohol benutze ich als Betäubungsmittel.

Bis zu dem Tag, der alles verändert.

Kommentare

  1. Himmel! Wo hast Du nur solche Cliffhanger gelernt?!? ;-)

    Aber es klingt, als hättest Du Dir tatsächlich schon einmal Gedanken machen müssen um Konsum und seinen Anlass...und sensibilisiert zu sein ist der erste Schritt in einen besseren Weg.

    Ich bin sehr gespannt auf den nächsten Teil!

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    1. Ich hab nur von dem Besten gelernt. Der heißt Rain. :-)
      Obwohl du schon lange keine Cliffhänger mehr benutzt hast.

      Es soll auch so klingen, als hätte ich mir schon mal Gedanken über Konsum und Anlass machen müssen. Ich sagte dir ja - auf dem anderen Kanal - , dass mich danach alle für einen Alki halten. :-)
      So oder so und ohne spoilern zu wollen: Es kann nicht schaden, sein Trinkverhalten ab und an einer Prüfung zu unterziehen.

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