Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom entspannten Enkelkind

Nach sieben Stunden Autofahrt stehe ich vor einem geschlossenen Restaurant. Ich trage ein kurzes, schwarzes Kleid mit lustigen weißen Punkten, bin müde, ziemlich angenervt und möchte am liebsten meine Zähne in der verschlossenen Tür vergraben. Alter Schwede, das kann doch nicht wahr sein! Ich habe - mit Abstand - den längsten Anfahrtweg und meine Familie bekommt es nicht auf die Kette, mich über eine Adressänderung zu informieren? Ernsthaft?! In diesem Moment möchte ich am liebsten ein Selfie machen, auf dem ich meinen Stinkefinger zücke und anschließend die Hacken in den Teer hauen, um wieder nach Hause zu fahren. "Soviel bedeutest du deiner Familie.", denke ich, und versuche diesen Gedanken mit aller Macht von mir zu schieben. Ein bisschen schmerzhafte Wahrheit steckt vermutlich trotzdem drin. Auch wenn ich daran nicht denken will.

Nachdem ich die neue Adresse herausgefunden habe und weitere 45 Minuten zu meinem neuen Zielort gegurkt bin, habe ich mich - weitestgehend - abgeregt. Zumindest gelingt mir eine bühnenreife Showeinlage, als ich mitten in die Rede des Geburtstagskindes hineinplatze und damit alle zum Lachen bringe. Und weil es so schön ist, gebe ich auch noch allen Anwesenden die Hand zur Begrüßung. Wobei ich bei jeder Begrüßung versuche, andere Worte zu finden. Was sich bei 45 Gästen als eine kleine Herausforderung entpuppt.

Später setzt sich meine Oma zu mir. Diejenige, die mich vermutlich über die Adressänderung hätte informieren sollen.
"Weißt du", sagt sie nachdenklich, "Als du in den Raum kamst, habe ich mir überlegt, dass ich gar nicht weiß, worüber ich mich mit dir, meinem Enkelkind, unterhalten soll."
Ich schlucke hart. Sofort spüre ich wieder diese diffuse Wut in meinem Bauch. Denn es ist die eine Sache, sich als Aussätzige der Familie zu fühlen. Eine ganz andere Sache ist es, diesen Eindruck bestätigt zu wissen.
"Vielleicht liegt das daran", gebe ich deshalb langsam zurück, "dass du mich gar nicht kennst. Du weißt weder irgendetwas über mich, noch über mein Leben. Du hast keine Ahnung, wer ich bin."
Es ist eine ebenso schlichte, wie ganz sanfte Feststellung.
Aber vermutlich eine, die das Potential haben könnte, wehzutun.
Mit großen Augen sieht sie mich an.
Und ich weiß, dass meine Worte hart klingen. Aber ebenso gut weiß ich auch, dass sie sie einfach wegstecken und vergessen wird. Weil sie keine Rolle für sie spielen. Nie gespielt haben. Sie ist dickfellig. Und lebt in ihrer eigenen Welt. Meistens ist das okay für mich. Ich war es als Kind gewohnt, nach dem Ballett- oder Klavierunterricht regelmäßig zwei bis drei Stunden auf sie, die mich abholen sollte, zu warten, weil sie mich einfach vergessen hat. Über kurze Geburtstagswünsche per SMS ärgere ich mich nicht mehr. Genausowenig ficht es mich an, dass sie die Hälfte des Jahres um die Welt reist, im Himalaya rumkraxelt, mit einem Zeltbus Chile entdeckt und sich in der BDSM-Szene austobt. Alles ist gut. Ich bin entspannt. Und mag sogar den Gedanken, dass sie ihr Leben genießt. Ich weiß, dass ich nicht die anderen Enkelkinder bin. Die, die zum Geburtstag besucht und mit Geschenken überhäuft werden. Weder bin ich fünf noch sieben Jahre alt, ich bin kein laufender Meter, der noch erzogen werden muss und die Welt mit staunenden Kinderaugen entdeckt. Auch wenn letzteres wunderbar wäre und in jedem Fall erstrebenswert ist. Ich bin erwachsen und nicht mal halb so niedlich, wie meine kleinen, blondwuschelköpfigen und absolut liebenswerten Cousinen. Sie stehlen mir ganz eindeutig die Schau. Und das ist gut so. Sie dürfen das und sollen das tun. Denn sie sind Kinder und brauchen eine Oma, die sich um sie kümmert.

Aber ich mag mir nicht vorwerfen lassen, dass sie den Kontakt zu mir verloren hat. Und das jeder, der diesen Blog liest, mehr über mich weiß, als der Großteil meiner Familie.
Und deswegen höre ich auch weg, als sie davon zu erzählen beginnt, wie dürr und hübsch ich als kleines Kind mal war. Wohlwissend, dass ich heute nicht mehr dürr bin. Aber dafür selbstbewusst genug, Worte wie diese endlich wegzustecken, ohne über mir selbst zu verzweifeln.

Kommentare

  1. Gut, dass Du Dir wegen solcher - sorry - hohlen Phrasen keine Gedanken machst. Du bist, wie Du bist. Und das ist gut so. Wenn Deine Omma (anscheinend) so wenig Interesse an einem Kontakt zu Dir - und an Dir ! - hat, MUSST Du über solche Äusserungen hinweghören!

    Und was das "Schaustehlen" betrifft: Gegen kleine Kinder oder Tiere hat man eh keine Chance :-)

    Ich hoffe, Du hattest dennoch einen schönen Tag.

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    1. Ich will ja gar keine Chance gegen kleine Kinde und Tiere haben - das ist schon in Ordnung so, wie es ist. Alles gut. :-)

      Was das Wegstecken solcher Phrasen angeht: Das ist bei mir tagesformabhängig. Aber dieses Mal hatte ich Glück...

      Danke dir. Der Tag wurde noch schon. Dem Himmel sei Dank.

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  2. Das kenn ich auch... ich drück dich ...
    Liebe Grüße, Ursula

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  3. Ich weiß ja nicht ob es dich tröstet (obwohl, der Beitrag sieht nicht so aus, als ob du Trost brauchen würdest...), aber ich empfinde das, was du geschrieben hast, als völligen Normalzustand, weil es in meiner Familie ganz genauso ist. Und ich bin mit einem Mann verheiratet, dessen Familie sich ihm gegenüber genauso verhält. Und ich kenne genügend Menschen, denen es genauso ergeht. Ich finde, du machst das schon ganz richtig, dich davon nicht (mehr) runterziehen zu lassen, deinen Selbstwert zu erkennen, und diese "winzigen", für außenstehende kaum erkennbaren Sticheleien zu ignorieren, oder besten Falls zur Kenntnis zu nehmen.

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    1. Du empfindest das, was ich geschrieben habe, als Normalzustand?
      Hui. Das ist schade. Finde ich. Wirklich. Ich würde dir das anders wünschen.
      Danke für die lieben Worte1

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  4. Antworten
    1. Ich schon. Ist doch meine Oma. Ich hab die lieb. Auch wenn sie einen Spleen hat.

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