"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei
Herzstück
„Ich küsse dich wie du bist und wie du sein wirst morgen und später und wenn meine Zeit vorbei ist“
(Ausschnitt aus: Erich Fried: Wie du solltest geküsst sein)
Ich
denke an ihn, während ich durch den Wald laufe. Daran, wie es wohl
wäre, gemeinsam mit ihm alt zu werden. Schlohweißes Haar stünde ihm
sicher gut. Einen lustigen Kontrast würde das bilden zu seinen
graublauen Augen. Bestimmt hätte er einen wuselig-fusseligen weißen
Bart. Er könnte in der Weihnachtszeit den Weihnachtsmann für unsere
Enkelkinder spielen. Abends würden wir vor dem Kamin sitzen, Tee trinken
und uns Geschichten über unser Leben erzählen. Weißt du noch, wie das
damals war? Als du mich unter dem Mistelzweig geküsst hast und ich
lachen musste, weil mich dein Bart so sehr gekitzelt hat?
Im
Sommer würden wir lange Spaziergänge machen. Vielleicht würden wir
beide irgendwann am Stock gehen, uns gegenseitig stützen und die
Jugendlichen, die Biertrinkend auf den Wiesen säßen, belächeln. Ich
hätte einen Picknickkorb dabei, den ich langsam auf einem hölzernen
Bollerwagen hinter mir herziehen würde. Wir würden uns auf eine der Bänke
setzen, Rotwein aus langstieligen Gläsern trinken und auf unser Leben,
unsere Erinnerungen, einfach auf einander anstoßen. Wir würden wissen,
was wir denken, ohne es aussprechen zu müssen. Witze, die niemand außer
uns verstünde, würden uns verbinden. So wie unsere Gefühle für einander.
Aus
der Hand des anderen würden wir Weintrauben und Käse essen und dabei
kichern wie zwei verliebte Teenager. Aber das wäre uns nicht peinlich.
Im Gegenteil: Ich würde es genießen, jede einzelne Falte seines Gesichts
in- und auswendig zu kennen, ihm Geschichten darüber zu erzählen,
welche Falte ich welchem Erlebnis zuschreiben würde. Manchmal würde ich
ihm meine Hände auf seine Wangen legen und ihm zärtlich die Falten aus
dem Gesicht streichen. In seinen geglätteten Gesichtszügen würde ich den
jungen Mann von früher neu entdecken. Ein kribbeliges Gefühl würde
sich, blubbernd wie Kohlensäure, in meinem Bauch breitmachen und für
einen Moment lang hätte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Vor
Glück.
Dort,
auf unserer Bank, würden wir sitzen, an dem einen oder anderen Tag. Mal
bei strahlendem Sonnenschein, mal im strömenden Regen, unter einem
roten Regenschirm. An schlechten Tagen würde ich Decken mitnehmen, die
wir uns über die Knie legen könnten. Er würde sein Pfeifchen vor sich
hin paffen, kleine Rauchkringel in die Luft pusten und über das Leben
nachdenken. Vielleicht hätte er auch immer einen Stift dabei, um sich
Notizen zu wichtigen Gedanken, ungeschriebenen Geschichten oder
besonderen Erkenntnissen zu machen. Oder er würde mir die Welt erklären.
Aus seiner Sicht. Ich würde in mich hinein lächeln und über dem Anblick
seiner Augen das Zuhören vergessen, weil ich alle seine Gedanken
bereits kennen würde. Und doch würde ich sie mir immer wieder gerne
anhören. Wenn er nach vergessenen Worten suchen würde, würde ich ihm
aushelfen. Manchmal würde es ihn ärgern, wie gut ich ihn kenne. Dann
würde er vor sich hin brummeln und ich müsste ein weiteres Grinsen
unterdrücken.
Auf
der Bank sitzend würde ich den Wind in meinem grauen Haar und auf
meiner Haut spüren, mich an Butterblumen, Gänseblümchen und Raps
erfreuen und, vollkommen hippieesk, einen Blumenkranz binden. Ich würde
mir die Schuhe von den Füßen streifen, den warmen Erdboden unter meinen
Fußsohlen spüren und ab und an, wie eh und je, mit den Zehen wackeln. Er
würde mich manchmal mit meinen Marotten aufziehen, meistens aber nur
liebevoll über sie hinwegsehen. So wie ich über seine Eigenheiten nur
leise lächeln würde. Wir wären einander alles. Hätten unsere Leben
hinter uns. Wir wären zufrieden.
In
manchen Momenten würde ich meine Hand auf die seine legen. Nur um ihn
noch für ein paar Minuten festzuhalten. Zur Sicherheit. Um seine
Anwesenheit bewusst zu genießen. Unser Glück voll und ganz auszukosten.
Den Moment festzuhalten. Ihn im Herzen bewahren zu können. An jedem
einzelnen Tag, an dem wir uns wieder von unserer Bank erheben würden,
würde ich mich ihm zuwenden, sein Gesicht in meine Hände nehmen und ihn
küssen. Auf die rechte Augenbraue, den linken Mundwinkel, die
Nasenspitze, die linke Augenbraue, den rechten Mundwinkel und die
Augenlider. Jeder Kuss wäre ein Dank. Danke, dass es dich gibt. Danke
dafür, dass du du bist. Danke dafür, dass du mich begleitest. Wie immer
würde ich jedes einzelne Danke, jedes unausgesprochene Versprechen und
jedes meiner Gefühle für ihn mit einem Kuss auf seinen Mund besiegeln.
Ich liebe dich. Danke, dass ich dich lieben darf.
Irgendwann als Jugendliche las ich mal ein Buch - ich glaube, es war "Gangs of New York" von Herbert Asbury - in dem jemand sagte, er würde seinen Kaffee nur schwarz trinken, damit er nichts vermissen müsse, gäbe es mal keinen Zucker oder keine Milch. Ich fand das damals ziemlich nachvollziehbar und auch ein bisschen cool. Deshalb habe ich die Geschichte, auch hier im Blog, gerne erzählt und meinen Kaffee ebenfalls lange schwarz getrunken. Heute, viele Jahre später, fällt mir dieser Spruch wieder ein. Und zum ersten Mal fällt mir auf, wie blödsinnig er ist. Mittlerweile trinke ich meinen Kaffee mit Milch. Täglich und immer. So liebe ich ihn. Und genauso wie ich meinen Kaffee trinke, lebe ich nun auch mein Leben: Es ist nicht gut, prophylaktisch auf Dinge zu verzichten, weil man sie irgendwann mal missen könnte, wenn sie nicht mehr sind. Ich genieße die Dinge heute und koste sie, möglichst bewusst, aus, weil ich nicht weiß, ob es ein Morgen gibt. Wenn es aber kein Morgen gibt
Ich muss an meine Kollegin denken. Vor ein paar Wochen kam sie krank zur Arbeit. Nachdem wir einen halben Tag zusammen in unserem kleinen Büro gesessen hatten, sagte sie ganz unglücklich: "Ich glaube, ich habe Corona. Aber ich darf kein Corona haben. Wenn ich jetzt Corona habe, kann ich nicht in den Urlaub fliegen. Dann kann ich nie wieder glücklich sein." Ich musste etwas lachen, weil ich sie zunächst gar nicht ernst nahm. In dem Wissen um ihre Weihnachtsverliebtheit erwiderte ich scherzhaft: "Doch, doch. Spätestens zu Weihnachten wirst du wieder glücklich sein!" Doch sie schüttelte nur den Kopf. "Nicht einmal dann.", antwortete sie ernst. Ihre Worte sind mir sehr nachgegangen und zunächst einmal konnte ich gar nicht verstehen, warum dem so ist. Eine Zeitlang überlegte ich, ob ich neidisch sein könnte. Auf die Fähigkeit, ein nicht Antreten des Urlaubs als einen so großen Verlust zu empfinden. Aber das war es nicht. Mittlerweile weiß ich, dass es mich schl
Ich lasse die Statusmeldungen bei W.hatsA.pp durchlaufen und stolpere darüber, dass T. Bilder veröffentlicht hat. Das trifft mich, nach Jahren der Stille, unerwartet. Zugleich ist der Zeitpunkt fast schon lächerlich passend, weil ich in letzter Zeit oft an ihn denke. Denn ich lerne an H. wie tief die Verletzungen sind, die T. mir zugefügt hat. Seit T. ist H. der erste Mensch, dem ich es gestatte, so tief in mich hineinzusehen. Das ist irgendwie leicht, weil er so liebevoll und gut zu mir ist und andererseits ist es schwerer denn je, weil ich jederzeit erwarte, an den Punkt zu stoßen, an dem er mich zurückweist. Ich erwarte verbale Verletzungen und Ablehnung meiner Person in vorauseilendem Gehorsam. Der Glaube daran, das etwas wirklich gut sein kann ist mir abhanden gekommen. Ich genieße die Zeit, die wir miteinander verbringen. Aber ich warte auf das Ende. Jeden Tag. Ich vermute, die Bilder aus T. Status' sind aus seinem Bus heraus aufgenommen. Vielleicht auch nicht, aber sie fühle
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