Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom Mimimi

Ich träume davon, vor einem Berg von 99 Schuhkartons zu stehen. Nur sind in den Schuhkartons keine Schuhe, sondern Leichenteile. Deshalb wache ich ziemlich verstört um 1 Uhr Nachts auf und kann nicht mehr einschlafen. Ich habe Magenschmerzen. Also drehe und wende ich mich im Bett hin und her. Als der Wecker endlich klingelt, bin ich fast erleichtert.

Mit Selbstmitleid bei anderen Menschen kann ich in der Regel umgehen. Zumindest dann, wenn derjenige bereit ist, seinen Hintern irgendwann, nachdem er genug Seelenhygiene in Form von Selbstmitleid betrieben hat, auch mal an die Wand zu kriegen und bereit ist, die Dinge, die ihn leiden lassen, anzugehen, um sie zu ändern. Selbstmitleid bei mir dulde ich in der Regel jedoch gar nicht. Dafür bin ich zu pragmatisch. Und mich nervt Selbstmitleid-Mimimi-Gedöns ziemlich schnell. Außerdem schäme ich mich dafür. Ich mag mich nicht, wenn ich schwach bin, wenn ich Fehler mache, wenn ich Dinge nicht auf die Reihe bekomme, die ich auf die Reihe kriegen sollte. Das zusammen mit dem Umstand, dass es mir momentan unwahrscheinlich schwerfällt, mich anderen Menschen gegenüber zu öffnen, ist der Grund, warum ich zurzeit überlege, den Blog mal eine Runde auf privat zu stellen. Damit ich mal ordentlich "privat" rumheulen kann, ohne mich hinterher schlecht fühlen zu müssen. Papiertagebuchmäßig sozusagen.

Die Sache ist klar:
Ich muss also die Dinge, die mich gerade so enorm unter Druck setzen, ändern. Nur ist das leichter gesagt als getan. Heute Nachmittag habe ich mir auf Arbeit mal ganz bewusst meinen Schreibtisch angesehen. Die Aufgaben darauf türmen sich. Und ich weiß nicht wo ich damit anfangen soll, sie abzuarbeiten. Dabei ist die Antwort auf diese Frage so simpel: von oben. Denn die Aufgaben sind nicht kompliziert. Die meisten davon sind nicht einmal besonders langwierig. Aber die Summe der Aufgaben lähmt mich total. Ich sehe den Haufen Arbeit an und es fühlt sich an, als würden meine Synapsen durchknallen. Deshalb verziehe ich mich ins Bad, setze mich auf den geschlossenen Klodeckel und versuche, der Tränen Herr zu werden, die mir unnötigerweise über das Gesicht laufen.
Nach 20 Minuten auf dem Örtchen geht es mir besser. Und ich fange an, einzelne Aufgaben zu erledigen. Allerdings fällt mir das unwahrscheinlich schwer. Ich brauche bestimmt dreimal so lange wie gewöhnlich. Am schlimmsten ist aber, dass mir der Pepp fehlt: Es ist nicht ein Hauch von dem Bums zu spüren, mit dem ich meine Arbeit für gewöhnlich erledige. Eigentlich laufe ich immer auf 180 Prozent. Ich habe Lust auf Arbeit, will etwas schaffen, bin motiviert und ehrgeizig. Heute aber bringe ich es vielleicht auf 45 Prozent meiner normalen Arbeitsleistung. Ich fühle mich erschöpft.

Diese Erschöpfung ist es, die sich auch in mein Privatleben, in dem es zurzeit auch den einen oder anderen Brandherd gibt, hineinzieht. Ich scheitere glorreich selbst an den leichtesten Aufgaben.
Ein Beispiel: das Beantworten von WhatsApp-Nachrichten. Normalerweise schreibt mir jemand eine Nachricht und ich antworte darauf. Ganz einfach. Dabei mache ich mir, sofern der Absender der Nachricht nicht irgendwelche ominösen ehrfürchtigen Anwandlungen in mir auslöst, keinen Kopf über das, was ich schreiben könnte. Ich tippe einfach drauf los. Unbeschwert und kopflos.
Zurzeit aber lese ich die Nachrichten auf meinem Telefon und fühle mich dabei wie ein Schwein, das vorm Uhrwerk sitzt. Ich bin völlig überfordert damit, die "richtigen Worte" zu finden. Und wenn ich dann nach einem halben Tag doch etwas anfange zu tippen, dann komme ich mir blöd dabei vor, weil die Antwort sich falsch, nichtssagend, was-auch-immer anfühlt.

Der Satz, den ich im Moment wohl am meisten denke, ist:
Ich kann nicht.
Ich kann nicht arbeiten, ich kann nicht reagieren, ich kann keine Entscheidungen treffen.
Vor allem aber auch:
Ich will nicht.
Ich will das alles nicht.
Ich will keine Mörder im Bewerbungsgespräch sitzen haben ("Ich habe meine Frau getötet."), ich will nicht lautstark von Mitarbeitern beschimpft werden, die ihre Arbeitnehmerpflichten vernachlässigen und immer nur ans Nehmen denken, ohne selbst je etwas zu geben ("Sie können mich mal!"), ich will nicht den Glauben daran verlieren, dass es irgendwo da draußen noch "normale" Menschen gibt, die keine nennenswerten Leichen in ihren Kellern verstecken. Ich will, dass es einfach mal ganz still ist. Nur für den einen oder anderen Moment. Von dort draußen bis tief in mich hinein. Stille.
Irgendwie tritt nicht ein, was immer alle prophezeit haben, nämlich dass ich mich mein Job irgendwann Menschen gegenüber härter machen wird. Stattdessen habe ich das Gefühl, über all den Dingen immer nur verletzlicher zu werden.

Ich mache mir selbst Angst, denn so wie ich mich momentan verhalte, kenne ich mich nicht.
So bin ich nicht und will es nicht sein.
Sonst muss ich mich vor mir selbst gruseln.
Und das wäre ja nun wirklich albern.

Kommentare

  1. Liebes Muschelmädchen,
    Das ist kein mimimi sonder hat alle Anzeichen eines Burn Outs... Es ist nicht „schwach“ sich so zu fühlen sonder eine Stärke sich diese „Schwäche“ einzugestehen! Geh zum Arzt und nimm dir eine Auszeit...
    Und danke für diesen schönen und berührenden Blog!
    Liebe Grüße,
    Meg

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Liebes Muschelmädchen!
      Was Meg sagt.
      Das ging mir beim Lesen gleich durch den noch müden Kopf... es hört sich nach einem klassischen Burnout an. Das auf dem Klo verkrümeln, die Tränen, das mit Kleinscheiß überfordert sein, der innere Schrei "ich will nicht"... (hab ich auch hinter mir)...
      Du brauchst dringend ne Auszeit. Sehr dringend.

      Und ich schließe mich nochmal Meg an: danke für deinen wunderbaren, berührenden Blog.

      Bitte gib auf dich acht.

      Gwen

      Löschen
    2. Ach du Sch.... !!! Muschelmädchen!
      Ich kann Meg und Gwen nur beipflichten: Das sind Anzeichen eines Burnouts!
      Pass´ auf Dich auf, lass´ Dich nicht kaputtmachen!
      Du weisst, wo Du mich findest ...
      Liebe Grüße, ich drück´ Dich!

      Löschen
    3. Liebes Muschelmädchen, so fühlt sich der Burn Out an!!!!!
      Wir hatten das Thema, glaub ich, schon mal....

      Zieh die Reißleine, sofort!

      Auch andere Leute können das Zeug bearbeiten.
      Der ganze Scheiß wird auch noch da sein, wenn Du wieder kannst.
      Und vieles von dem Zeug, was Du jetzt als Felsbrockenwahrnimmst, sieht dann auch wieder so aus, wie es wirklich aussieht. Kiesel nämlich.

      PS: Wenn mich die Türme an Arbeit erschlagen, pack ich sie auch aus dem Sichtfeld. Immer nur drei auf einmal im Blick, der Rest unterm Tisch, erledigtes auf einen Stapel, so seh ich nicht mehr das Negative - was noch zu machen ist - sondern nur noch, was schon geschafft wurde. Keine Patent- oder Dauerlösung, aber wenn es grad mal ganz rechteckig läuft, ist es eine ziemlich gute Überbrückung.

      Löschen
    4. @Meg
      Lieben Dank für deinen Kommentar!
      Ich bin zurzeit ziemlich angegriffen, ja. Und ich hab jetzt eine Auszeit genommen. Mal schauen, was sie bringt...
      Um ehrlich zu sein, sehe ich mich nicht im Burn Out...
      Aber die Kommentare hier haben mich auf jeden Fall sensibilisiert.
      Danke dafür!

      Löschen
    5. @Gwen
      Ich freue mich über jden Kommentar von dir.
      Und ich verspreche, auf mich achtzugeben...
      Das wird schon wieder. Ganz bestimmt.

      Löschen
    6. @Horseman
      Ich passe auf mich auf. Erst einmal habe ich jetzt ein paar Tage frei. Das ist vielleicht ganz gut, um die Gedanken und das Gefühlschaos ein wenig zu sortieren.
      Irgendwo in meinem Postfach habe ich eine E-Mail-Adresse von dir, oder?
      Fühl dich auch gedrückt.

      Löschen
    7. @Sylana
      Ja, wir hatten das Thema schon einmal. Ich glaube das auch...
      Natürlich hast du recht. Auch andere können die Arbeit erledigen. Und ich darf auch nicht vergessen, so schwer mir das manchmal fällt, dass ein Job nur ein Job ist. Nicht mehr und nicht weniger. Und wer sollte besser als ich, die ich eine Personaltante bin, wissen, wie viele unzählige Jobs es momentan da draußen gibt...
      Deinen Schreibtisch-Tipp werde ich mal ausprobieren, in der Hoffnung, der vielen Kieselsteine dann ganz allmählich gerecht zu werden. Oder ich fange mal an, meine Kollegen mit Kieselsteinen zu bewerfen...

      Löschen
  2. ob das jetzt burn-out oder totale erschöpfung ist, mag ich nicht zu beurteilen, das sollte dir nur dein arzt des vertrauens diagnostizieren.

    vielleicht kannst du dir ja eine kleine auszeit gönnen und ein paar tage urlaub nehmen, damit du wieder mehr zu dir selbst findest. anderer ort, ohne netz und co. das hat in vielen fällen schon wunder bewirkt.

    ich wünsche dir viel glück und würde dir gerne von meinem "zurzeitentspanntsein" etwas abgeben.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich bin deinem Rat gefolgt... Und habe eine kleine Auszeit genommen. Sie wird mir sicher gut tun.
      Genieß das Entspanntsein... Das ist schön.

      Löschen
  3. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

    AntwortenLöschen
  4. Natürlich kannst du dich ausheulen - nur wird das nichts ändern, außer dass es dir für 10 Minuten besser geht. Tränen fließen angesichts vermeintlicher "Nichtigkeiten" nie umsonst. Du machst dich gerade kaputt. Warum? Für wen? Du schriebst, dass du jemand bist, der gerne alle retten würde. Wer rettet dich? Und wer passt auf dich auf?

    [Verzeih mir bitte die deutlichen Worte, aber ich mache mir wirklich Sorgen um dich...]

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Um ehrlich zu sein hat es mir tatsächlich geholfen, mich hier auszuweinen. Und gerade weil ich geschrieben habe, dass ich mich für Posts dieser Art im Nachhinein häufig schäme, ist mir dieses Mal die Scham auch weitestgehend erspart geblieben. Was sicher auch an den einfühlsamen Kommentaren zu diesem Post lag...
      Ich habe jetzt eine kleine Auszeit genommen. Sie wird mir sicher helfen, das Chaos zu ordnen. Hoffe ich.

      Und wer auf mich aufpasst?
      Ihr. So wie ich das hier lese.
      Und dafür bin ich sehr dankbar.

      Hab lieben Dank, so viel möchte ich schon mal sagen, für deine E-Mail.
      Die Antwort folgt...

      Löschen

Kommentar veröffentlichen

Willkommen im Zauberreich. Da dieser Blog ziemlich viel persönlichen Krimskrams enthält, lassen Sie uns einander doch duzen:

Schreib mir gerne einen Kommentar, bringe mich zum nachdenken, schmunzeln oder lachen. Aber bitte vergiss nicht, dass dieser Blog ein Spiegel meines Innen- und Gedankenleben ist. Ich würde mich demnach freuen, wenn du deine Worte sorgfältig wählst und behutsam mit den Dingen umgehst, die ich hier niederschreibe. Außerdem möchte ich dich darum bitten, mir deinen Namen oder wenigstens ein Kürzel unter dem Kommentar zu hinterlassen, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe. Dankeschön!

Bitte beachte zudem, dass die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://zauberreich.blogspot.de/p/datenschutz.html) und in der Datenschutzerklärung von Google.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Vom Unglücklichsein

Vom Kaffee und vom Leben

Vom Schmerzgedächtnis