Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Von der zweiten Chance

"Ich habe eine Lieblingsgeschichte. Ein Mann und eine Frau lernen sich in einem Hotel kennen, das ein Treffpunkt für Alleinstehende ist. Sie tanzen miteinander am Samstagabend. Er sagt: 'Ich bin nur dieses eine Wochenende hier.' Sie antwortet: 'Ich tanze so schnell ich kann.'"



(Barbara Gordon: Ich tanze so schnell ich kann)

Irgendwas läuft schief. Alles geht zu schnell und nach einem Essen bei einem Italiener landen wir im Hotel. Ich erinnere mich an Bruchstücke. Seine Hand in meiner Hose, die gute Rasur lobend. Und auf meinem Bauch. Den ich nicht einmal selbst gerne berühre, geschweige denn gerne durch einen anderen Menschen anfassen lasse. Die Panik mit einem Mann zu schlafen, der mir zwar vertraut, aber irgendwie in seiner Körperlichkeit auch fremd ist. Die Art, wie er mich von sich wegdrückt. Das Hinausbugsieren. Die Enttäuschung, die in seinem Blick liegt, werde ich niemals vergessen. Ich kann mich erinnern, dass ich, nachdem ich verabschiedet wurde, ein paar Momente im Flur des Hotels stehe. Mit dem Drang, umzukehren und erneut an seine Tür zu klopfen, kämpfend. Aber ich entscheide mich dagegen. Weglaufen ist so viel einfacher. Ich gehe zur Bahn, fahre heim und rede mir dabei ein, dass ich mir dieses Gefühl, eine Enttäuschung zu sein, einbilde. Doch als ich auf meine Nachrichten keine Antwort mehr erhalte, intensiviert sich mein Fühlen.
Am nächsten Tag bestätigt sich das vage Gefühl in Form einer ziemlich zielsicher platzierten, verbalen Ohrfeige. Die in ihrer Wucht so heftig ist, dass ich es am Abend nicht aushalte alleine zu sein und mich stattdessen völlig verwirrt durch die Stadt treiben lasse. Solange bis ich weder das Viertel noch die Straßen kenne. Ich verlaufe mich. Dabei versuche ich die ganze Zeit zu rekonstruieren, was passiert ist, analysiere mein Verhalten bis in die kleinsten Details, versuche zu verstehen, was ich getan habe. Aber es gelingt mir nicht. Überhaupt nicht. Ich habe keine Erklärungen. Aber eine Rasierklinge. Also kompensiere ich Unverständnis mit Selbsthass. Wochen später lasse ich alles, was mich an diesen Abend erinnert, verschwinden. Ich beschließe, jede Erinnerung daran auszuradieren.

Heute gibt es die Möglichkeit, dieses Treffen zu wiederholen. Das ruft verschiedene Gefühle in mir hervor: Zuneigung, Lust und Neugier kribbeln sich durch meinen Körper. Aber ich bin auch zutiefst verunsichert. Drei Jahre später bin ich weder jünger noch schöner geworden. Dafür haben sich meine Gefühle intensiviert. Dennoch habe ich nicht vergessen, wie nachhaltig verletzt ich nach dem letzten Treffen war. Wie es mich verändert hat. Ich habe Angst. Wirklich Angst. Denn er hat ein gutes Gespür dafür, wo er die Fingerspitze hinlegen muss, damit es wirklich weh tut. Zu gut.
Und ich frage mich, ob es nicht Selbstbetrug ist, einem Treffen eine zweite Chance zu geben. Denn wir hatten unsere Chance. Und ich war die falsche Person. Daran gab es keinen Zweifel. Ich war anders als erwartet, habe Fehler gemacht, war zu sensibel, zu kompliziert, zu verklemmt, zu wehrhaft, zu verständnislos und vermutlich noch vieles mehr. Die Wahrscheinlichkeit, dass aus einer Person, die man nicht gesucht hat, der Mensch wird, den man finden wollte, ist doch verschwindend gering, nicht wahr?




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