"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei
Von dem Messer in meiner Hosentasche
„All I wanna say is that they don't really care about us“
(Michael Jackson: They don´t care about us)
(Kein Eintrag für Zartbesaitete)
Erst
nach 20 Kilometern merke ich, dass ich an meiner Abfahrt schon lange
vorbeigefahren bin. Das ist mir das letzte Mal passiert, kurz nach einem
Gespräch mit dem Jugendamt. Damals musste eine meiner Mitarbeiterinnen
(während ihrer Elternzeit) in sofortige psychiatrische Behandlung. Das
Jugendamt hatte bei einem seiner Kontrollbesuche festgestellt, dass ihr
Säugling schon ganz grau war. Vor Hunger. Nach diesem Gespräch fuhr ich
ähnlich fahrig Auto. Als ich viel zu spät feststellte, dass ich mich
schon sonst wo befand, rief mich meine Mutter an und fragte mich, wie
mein Tag war. Ich brach in Tränen aus und war gar nicht mehr fähig, Auto
zu fahren. Ist nicht lange her.
Heute war ein ähnlicher Tag. Um
2:30 Uhr in der Nacht klingelt das Telefon. Völlig verschlafen gehe ich
ran und brauche dieses Mal mehr als ein paar Sekunden, um
herauszufinden, wer mich anruft. Eine Mitarbeiterin weint heftig ins
Telefon. 19 Jahre ist sie alt. Ein ganz zierliches, kleines Mädchen.
Viel zu dünn. Lange, dunkelbraune Haare. Sie wirkt immer ein wenig
angeschlumpelt, weil sie entweder in weiten, viel zu großen und
abgetragenen Sachen rumläuft oder in zu kurzen Röcken und bauchfreien
T-Shirts, während sie völlig grell überschminkt ist. Sie wurde als Kind
mehrfach missbraucht. Hauptsächlich von Familienmitgliedern und
Erziehungsbefohlenen. Zu ihrer Familie hat sie kaum noch Kontakt. Wenn
sie bei ihrer Mutter auftaucht, betitelt diese sie als „Schlampe“ und
„Votze“, um sie gleich darauf wieder aus dem Haus zu jagen. Wenn nötig,
mit Hilfe körperlicher Gewalt. Andere Menschen, an die sie sich wenden
kann, hat sie nicht. Außer ihrem Freund, bei dem sie wohnt. Überhaupt
fühlt sie sich hauptsächlich (auch auf der Arbeit) zu Männern
hingezogen. Allerdings ist sie sehr naiv. Fast jedem erzählt sie
ungefragt ihre Geschichte. Mit dem Resultat, dass sie immer wieder
Männer anzieht, die es nicht wirklich gut mit ihr meinen. Die glauben,
eine weitere Nummer könne nicht mehr schaden.
Aufgrund dessen, was
sie erlebt hat, ist sie nicht arbeitsfähig. Ich habe sie, in Absprache
mit meiner Chefin, trotzdem eingestellt. Denn die junge Frau sehnt sich
nach einem Alltag, nach Routinen, sie will sich zu etwas Nutze fühlen.
Wir führen sie also langsam an das Arbeitsleben heran, in Form einer
geringfügigen Beschäftigung. Doch auch das ist eine riesige
Herausforderung. Selbst die ganz wenigen Stunden, die sie momentan
monatlich arbeiten soll, scheinen sie vollkommen zu überfordern. Wieder
und wieder stecken wir Rückschläge ein. Sie kommt und geht, wann sie
will oder trinkt vor der Arbeit eine Flasche Schnaps und tritt die
Arbeit völlig betrunken an. So langsam wird mir bewusst, dass wir sie
nicht werden retten können. Sie ist einfach emotional (noch?) nicht
stabil genug.
Als sie heute Nacht anruft, verstehe ich schnell, dass
sie in 3,5 Stunden nicht arbeiten gehen wird. Aber anstatt mir Sorgen
zu machen, wie ich innerhalb von drei Stunden einen Maschinenstillstand
und einen Produktionsausfall vermeiden kann, versuche ich,
herauszufinden, was los ist. Das dauert. Denn weil sie so heftig
schluchzt, kann ich kaum etwas verstehen. Zusätzlich knallt es im
Hintergrund mehrfach laut. Als ich es schaffe, sie zumindest ein wenig
zu beruhigen, finde ich heraus, dass sie sich im Schlafzimmer
eingeschossen hat, weil ihr Freund sie gewürgt und geschlagen hat. Er
schlägt von außen hart gegen die Tür, will rein. Nach intensiver
Überredung rufen wir die Polizei.
In der Zeit, die die Polizei
benötigt, um zu kommen, erzählt sie mir, dass sie sich jetzt ein Kind
machen lassen will. Sie will nicht mehr so alleine sein. Braucht eine
Familie.
Somit bin ich morgens nicht nur sehr müde, sondern auch
emotional ziemlich angeschlagen. Einziger Lichtblick ist der noch immer
vorhandene Werksleiter, der es tatsächlich schafft, mich mit einer
ziemlich witzigen E-Mail zum grinsen zu bringen. Gegen Mittag merke ich
jedoch, dass ich heute zu zerbrechlich bin, um mit seinem Verhalten
umzugehen. Ich fühle mich irgendwie veräppelt. Und ich will kein Witz
für jemanden sein und reagiere einfach nicht mehr. Mir ist alles zu
viel.
Später am Tag bricht die Wut durch. Die Wut auf alles.
Ich
bin im Personalgespräch mit einem Mitarbeiter, der sowohl eine geistige
als auch eine körperliche Behinderung hat. Für ihn und ein paar andere
meiner Schäfchen habe ich eine Schulung am Samstag organisiert. Ihn
musste ich dazu überreden, daran teilzunehmen, weil er sich, im
Gegensatz zu mir, die Schulung nicht zutraut. Nun scheint die komplette
Schulung daran zu scheitern, dass er sich nicht traut, mit dem Auto eine
Strecke zu fahren, die er nicht kennt. Das an sich finde ich, vor dem
Hintergrund seiner Behinderung, vollkommen in Ordnung. Was mich aber
richtig aufregt, ist seine Familie. Er wohnt mit über 30 Jahren noch bei
seinen Eltern. Seine Eltern sind im arbeitsfähigen Alter, sind aber
überzeugte Hartz-IV-Empfänger. Sprich: Mein Mitarbeiter finanziert von
seinem Gehalt nicht nur das Haus der Eltern, sondern auch noch deren
Anspruchsdenken (wie Fernseher, Auto, …). Er sorgt für alles. Und sie
bringen es nicht einmal zustande, ihn zu dieser Schulung am Samstag zu
fahren. Weil sie so viel beschäftigt sind. Das ist einfach unrecht.
(Ich stelle im beidtourig einen Fahrer, der ihn hinfährt und abholt. Er
wird also an der Schulung teilnehmen. Und er wird dieses Zertifikat
bekommen und die Prüfung bestehen. Er muss einfach.)
Über all
diesen Gedanken brütend verpasse ich also meine Autobahnabfahrt und
fahre einen riesigen Umweg nach Hause. Und die ganze Zeit über bin ich
rasend wütend und kann zum ersten Mal in meinem Leben das Bedürfnis
verstehen, jemand anderem als mir selbst wehtun zu wollen.
Beim
Schreiben dieses Eintrags flaut die Wut auf diese Welt, auf diese
Menschen, dem Himmel sei Dank, langsam ab. Aber ich bin nicht ganz
sicher, was dahinter zum Vorschein kommt.
Ich sehne mich nach Liebe, Menschlichkeit und Mitgefühl. Nach Für-Sorge für einander.
Irgendwann als Jugendliche las ich mal ein Buch - ich glaube, es war "Gangs of New York" von Herbert Asbury - in dem jemand sagte, er würde seinen Kaffee nur schwarz trinken, damit er nichts vermissen müsse, gäbe es mal keinen Zucker oder keine Milch. Ich fand das damals ziemlich nachvollziehbar und auch ein bisschen cool. Deshalb habe ich die Geschichte, auch hier im Blog, gerne erzählt und meinen Kaffee ebenfalls lange schwarz getrunken. Heute, viele Jahre später, fällt mir dieser Spruch wieder ein. Und zum ersten Mal fällt mir auf, wie blödsinnig er ist. Mittlerweile trinke ich meinen Kaffee mit Milch. Täglich und immer. So liebe ich ihn. Und genauso wie ich meinen Kaffee trinke, lebe ich nun auch mein Leben: Es ist nicht gut, prophylaktisch auf Dinge zu verzichten, weil man sie irgendwann mal missen könnte, wenn sie nicht mehr sind. Ich genieße die Dinge heute und koste sie, möglichst bewusst, aus, weil ich nicht weiß, ob es ein Morgen gibt. Wenn es aber kein Morgen gibt
Ich muss an meine Kollegin denken. Vor ein paar Wochen kam sie krank zur Arbeit. Nachdem wir einen halben Tag zusammen in unserem kleinen Büro gesessen hatten, sagte sie ganz unglücklich: "Ich glaube, ich habe Corona. Aber ich darf kein Corona haben. Wenn ich jetzt Corona habe, kann ich nicht in den Urlaub fliegen. Dann kann ich nie wieder glücklich sein." Ich musste etwas lachen, weil ich sie zunächst gar nicht ernst nahm. In dem Wissen um ihre Weihnachtsverliebtheit erwiderte ich scherzhaft: "Doch, doch. Spätestens zu Weihnachten wirst du wieder glücklich sein!" Doch sie schüttelte nur den Kopf. "Nicht einmal dann.", antwortete sie ernst. Ihre Worte sind mir sehr nachgegangen und zunächst einmal konnte ich gar nicht verstehen, warum dem so ist. Eine Zeitlang überlegte ich, ob ich neidisch sein könnte. Auf die Fähigkeit, ein nicht Antreten des Urlaubs als einen so großen Verlust zu empfinden. Aber das war es nicht. Mittlerweile weiß ich, dass es mich schl
Ich lasse die Statusmeldungen bei W.hatsA.pp durchlaufen und stolpere darüber, dass T. Bilder veröffentlicht hat. Das trifft mich, nach Jahren der Stille, unerwartet. Zugleich ist der Zeitpunkt fast schon lächerlich passend, weil ich in letzter Zeit oft an ihn denke. Denn ich lerne an H. wie tief die Verletzungen sind, die T. mir zugefügt hat. Seit T. ist H. der erste Mensch, dem ich es gestatte, so tief in mich hineinzusehen. Das ist irgendwie leicht, weil er so liebevoll und gut zu mir ist und andererseits ist es schwerer denn je, weil ich jederzeit erwarte, an den Punkt zu stoßen, an dem er mich zurückweist. Ich erwarte verbale Verletzungen und Ablehnung meiner Person in vorauseilendem Gehorsam. Der Glaube daran, das etwas wirklich gut sein kann ist mir abhanden gekommen. Ich genieße die Zeit, die wir miteinander verbringen. Aber ich warte auf das Ende. Jeden Tag. Ich vermute, die Bilder aus T. Status' sind aus seinem Bus heraus aufgenommen. Vielleicht auch nicht, aber sie fühle
Kommentare
Kommentar veröffentlichen
Willkommen im Zauberreich. Da dieser Blog ziemlich viel persönlichen Krimskrams enthält, lassen Sie uns einander doch duzen:
Schreib mir gerne einen Kommentar, bringe mich zum nachdenken, schmunzeln oder lachen. Aber bitte vergiss nicht, dass dieser Blog ein Spiegel meines Innen- und Gedankenleben ist. Ich würde mich demnach freuen, wenn du deine Worte sorgfältig wählst und behutsam mit den Dingen umgehst, die ich hier niederschreibe. Außerdem möchte ich dich darum bitten, mir deinen Namen oder wenigstens ein Kürzel unter dem Kommentar zu hinterlassen, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe. Dankeschön!
Bitte beachte zudem, dass die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt werden. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://zauberreich.blogspot.de/p/datenschutz.html) und in der Datenschutzerklärung von Google.