Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Vom Sturm

„Stellst dich in Sturm und schreist:
ich bin hier, ich bin frei,
alles was ich will ist Zeit,
ich bin hier, ich bin frei!“

(Juli: Perfekte Welle)

Nachts träume ich vom Sturm. Ich stehe auf einem weiten Feld. In meinem Rücken scheint die Sonne, Weizenären wiegen sich im aufkommenden Wind und am Horizont sammeln sich dicke, schwarze Wolken. Eine Gänsehaut läuft mir das Rückgrat hinab, als ich die Windhose bemerke, die sich auf mich zubewegt. Noch während ich beginne zu rennen, weiß ich, dass ich es nicht schaffen werde, rechtzeitig den Schutz der Stadt zu erreichen. Also ändere ich, ohne darüber nachzudenken, meine Laufrichtung und haste in die Mitte des Feldes. Dort lasse ich mich auf die Knie fallen und fange an, mit bloßen Händen ein Loch zu graben. Der widerstandsfähige, trockene Erdboden reißt meine Finger auf und am Anfang glaube ich, gar nicht voranzukommen. Für ein paar Minuten bin ich völlig davon überzeugt, dass mich die Windhose gleich verschlucken wird. Doch schließlich ist das Loch so groß, dass ich mich darin zusammenrollen und mit dem Erdboden verschmelzen kann. Ganz klein werde ich, während ich mich wegdenke.


Ich habe keine Angst mehr. Plötzlich spüre ich, dass sich überall um mich herum Menschen befinden, die sich ihre eigenen Löcher gegraben haben und nun in ihren Höhlen verharren. Einsam, aber nicht allein. Ein Mann steigt aus seiner Kule und während der Sturm um uns herumtobt, beginnt er zu schreien. Er hält so etwas ähnliches wie eine Rede, faselt von Sünde und Weltuntergang, und ich denke, dass ich mich fühle, als würde ich, zusammen mit den fremden Menschen um mich herum, lebendig begraben werden. Da ich das aber blöd finde, tue ich so, als wäre ich rebellisch und höre einfach weg. Ich stelle mir vor, ich würde auf einer Blümchenwiese liegen, bilde mir ein, Gänseblümchen zu riechen und Vögel zwitschern zu hören. Der Sturm berührt mich nicht.

Während Windpfeifen, Apokalypsengeschrei und Massenpanik sich mischen, kuschle ich mich, in meinem dunklen Erdloch liegend, in mich selbst hinein und frage mich, ob ich in diesem Leben ein guter Mensch war. Nur für den Fall, dass ich es nicht war, krame ich in meiner Hosentasche nach meinem Handy. Falls ich in meinem nächsten Leben statt einer Sonnenblume ein einäugiger, hässlicher Zombie werden muss, sollte ich vorher unbedingt noch ein paar Menschen sagen, dass ich sie unglaublich liebe.

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