"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei
Von Ottfried
„Dem Ganzen entzweit, doch ganz auf dich gestellt bleibt nur dein brüchiger Tanz auf den Wogen der Welt.“
(Konstantin Wecker – Weltenbrand)
Ich
treffe ihn ab und an im Supermarkt. Und jedes Mal, wenn es soweit ist,
bin ich auf eine ganz seltsame Art und Weise glücklich, ihn
wiederzusehen. Es ist dann, als ob mir mit einem Schlag bewusst wird,
dass die Welt eigentlich doch ganz in Ordnung ist. Es ist, als könnte
ich das an den Reaktionen, die ihm entgegen gebracht werden, ablesen.
In
Gedanken nenne ich ihn Ottfried. Wie ich auf diesen Namen gekommen bin,
weiß ich nicht mehr. Was ich aber weiß, ist, dass ich Ottfried
unheimlich gerne mag. Jedes Mal, wenn wir einander sehen, bringt er ein
bisschen Sonne in meinen Tag, vollkommen unabhängig von den Jahreszeiten
und der tatsächlichen Wetterlage. Ottfried strahlt. Ganz von innen,
einfach aus sich selbst heraus. Er ruht in sich wie kein anderer Mensch.
Und alles um ihn herum strahlt zurück zu ihm. Weil es gar nicht anders
kann. Nichts und niemand kann sich Ottfrieds Charme entziehen.
Ottfried
ist etwa 42 Jahre alt und circa 1.96 Meter groß. Er ist ein bisschen
pummelig und sein Lieblingsessen ist Schokoladensuppe. Das hat er
neulich der freundlichen Supermarktfrau erzählt, die seine Einkäufe –
Kinderschokolade, Schokobonbons und eine Packung Duplos – abkassiert
hat. Alle seine Schätze, die er einmal wöchentlich einkauft, verstaut er
immer in dem kleinen roten Kinderrucksack, den er auf seinem Rücken
trägt. Dieser winzige Rucksack mag vielleicht ein wenig eng geschnallt
sein und im Verhältnis zu der Körpergröße von Ottfried etwas
eigentümlich anmuten, aber das interessiert ihn nicht. Richtig
interessiert ist Ottfried eigentlich nur an Schokolade und seinen
Mitmenschen.
Selbst wenn Ottfried etwas kleiner wäre,
wäre es wahrscheinlich absolut unmöglich, ihn zu übersehen. Nicht etwa,
weil er ein wenig skurril aussieht in seinen immer ein stückweit zu
kurzen Hosen, seiner aufgeplusterten neongelben Regenjacke und den
ausgetretenen, etwas schlumpeligen Jesuslatschen. Sondern weil er stets
unglaublich freundlich ist. Vielleicht ist es so, dass er immer ein
kleines bisschen zu laut spricht, um unerkannt mit der Menschenmenge zu
verschmelzen und es mag tatsächlich so sein, dass er sich, durch seine
Kontaktfreude und sein unverstelltes Auftreten, immer ein wenig zu
auffällig verhalten wird, um nicht sofort als Mensch mit geistiger
Behinderung erkannt zu werden. Aber er hat für jeden Menschen ein
ehrliches, liebes Wort übrig:
Die Dame hinter der Wursttheke
begrüßt er mit einem lächelnden „Hallo Fleischerfrau“ und macht ihr
Komplimente zu ihren Ohrringen, bei der Bäckerfrau erkundigt er sich,
wie es ihrem kranken Mann geht und mit der Supermarktkassiererin
plauscht er über das Wetter. Auch mich kennt er mittlerweile. Manchmal
lächelt er, wenn er mich sieht und verteilt, vollkommen distanzlos, eine
seiner liebevollen Umarmungen, in denen man sich merkwürdig sicher und
geborgen fühlen kann.
Irgendwann als Jugendliche las ich mal ein Buch - ich glaube, es war "Gangs of New York" von Herbert Asbury - in dem jemand sagte, er würde seinen Kaffee nur schwarz trinken, damit er nichts vermissen müsse, gäbe es mal keinen Zucker oder keine Milch. Ich fand das damals ziemlich nachvollziehbar und auch ein bisschen cool. Deshalb habe ich die Geschichte, auch hier im Blog, gerne erzählt und meinen Kaffee ebenfalls lange schwarz getrunken. Heute, viele Jahre später, fällt mir dieser Spruch wieder ein. Und zum ersten Mal fällt mir auf, wie blödsinnig er ist. Mittlerweile trinke ich meinen Kaffee mit Milch. Täglich und immer. So liebe ich ihn. Und genauso wie ich meinen Kaffee trinke, lebe ich nun auch mein Leben: Es ist nicht gut, prophylaktisch auf Dinge zu verzichten, weil man sie irgendwann mal missen könnte, wenn sie nicht mehr sind. Ich genieße die Dinge heute und koste sie, möglichst bewusst, aus, weil ich nicht weiß, ob es ein Morgen gibt. Wenn es aber kein Morgen gibt
Ich muss an meine Kollegin denken. Vor ein paar Wochen kam sie krank zur Arbeit. Nachdem wir einen halben Tag zusammen in unserem kleinen Büro gesessen hatten, sagte sie ganz unglücklich: "Ich glaube, ich habe Corona. Aber ich darf kein Corona haben. Wenn ich jetzt Corona habe, kann ich nicht in den Urlaub fliegen. Dann kann ich nie wieder glücklich sein." Ich musste etwas lachen, weil ich sie zunächst gar nicht ernst nahm. In dem Wissen um ihre Weihnachtsverliebtheit erwiderte ich scherzhaft: "Doch, doch. Spätestens zu Weihnachten wirst du wieder glücklich sein!" Doch sie schüttelte nur den Kopf. "Nicht einmal dann.", antwortete sie ernst. Ihre Worte sind mir sehr nachgegangen und zunächst einmal konnte ich gar nicht verstehen, warum dem so ist. Eine Zeitlang überlegte ich, ob ich neidisch sein könnte. Auf die Fähigkeit, ein nicht Antreten des Urlaubs als einen so großen Verlust zu empfinden. Aber das war es nicht. Mittlerweile weiß ich, dass es mich schl
Ich lasse die Statusmeldungen bei W.hatsA.pp durchlaufen und stolpere darüber, dass T. Bilder veröffentlicht hat. Das trifft mich, nach Jahren der Stille, unerwartet. Zugleich ist der Zeitpunkt fast schon lächerlich passend, weil ich in letzter Zeit oft an ihn denke. Denn ich lerne an H. wie tief die Verletzungen sind, die T. mir zugefügt hat. Seit T. ist H. der erste Mensch, dem ich es gestatte, so tief in mich hineinzusehen. Das ist irgendwie leicht, weil er so liebevoll und gut zu mir ist und andererseits ist es schwerer denn je, weil ich jederzeit erwarte, an den Punkt zu stoßen, an dem er mich zurückweist. Ich erwarte verbale Verletzungen und Ablehnung meiner Person in vorauseilendem Gehorsam. Der Glaube daran, das etwas wirklich gut sein kann ist mir abhanden gekommen. Ich genieße die Zeit, die wir miteinander verbringen. Aber ich warte auf das Ende. Jeden Tag. Ich vermute, die Bilder aus T. Status' sind aus seinem Bus heraus aufgenommen. Vielleicht auch nicht, aber sie fühle
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