Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Von Tagebuchsachen

Einige der Glückwünsche, die ich heute erhalten habe, haben mich einfach nur traurig gestimmt. Vor allem sind es jene, die aus der Familie gekommen sind. Es ist kaum zu glauben, dass ich meine Oma seit Weihnachten nicht mehr gesehen habe. Weil sie in Australien rumgereist, mit dem Zug durch Ecuador gefahren ist und im Himalaya wandern war. Ich gönne ihr den Spaß. Aber mir ist auch bewusst, dass sie mich nicht angerufen hätte, wenn ich nicht Geburtstag hätte. So führt mir ihr Anruf heute eigentlich nur vor Augen, dass ich es vermisse, ihr wichtig zu sein. Immerhin hat sie mir den wohl interessantesten Glückwunsch ausgesprochen: Sie wünscht mir Fruchtbarkeit. Seltsamerweise habe ich seitdem das Bild in meinem Kopf, wie sie gerade am anderen Ende der Welt, bekleidet mit einem Lendenschurz, um ein Lagerfeuer herumtanzt und mich heimlich verhext.

Ich fand Menschen, die ihren eigenen Geburtstag doof finden, immer albern. Aber die Wahrheit ist, dass ich mich heute am liebsten verkrochen hätte. Zu viel Erwartungsdruck: Freu dich über deinen Geburtstag oder ich fress dich!
Außerdem führt mir mein Geburtstag vor Augen, was mir fehlt. Er erinnert mich an die Menschen, die nicht mehr in meinem Leben sind. Alte Freunde, die sich auf halben Weg verabschiedet oder von denen ich mich bewusst getrennt habe, oder Menschen, die verstorben sind. Heute wäre ein guter Hühnersuppen-Tag gewesen. Die Hühnersuppe meiner Uroma hat immer gegen jede Form von Herz- und Weltschmerz geholfen.

Das wichtigste zuerst: Ich bin schon groß und ziemlich gut darin, auf mich aufzupassen. Aber: Es ist kein Geheimnis, dass ich zurzeit ziemlich angeschlagen bin. Interessanterweise tatsächlich so angeschlagen, dass ich seit ein paar Tagen hin und wieder um eine meiner Erinnerungskisten herumgetingle. In dieser Kiste befindet sich die erste Rasierklinge, mit der ich mich jemals geschnitten habe. Natürlich mache ich keinen Blödsinn. Dafür bin ich ja mittlerweile viel zu alt. Aber dieses Gefühl, dass ich den inneren Druck in mir nicht mehr aushalte, ist momentan ziemlich groß. Ich fühle mich wie ein Schnellkochtopf, der kurz vorm explodieren ist. Das ist schwer zu ertragen. Früher hätte ich dieses Gefühl gekontert, indem ich mich schneide. Also quasi einen Ausgleichs- oder Ablenkungsschmerz schaffe. Heute versuche ich, das Gefühl auszuhalten und wegzuatmen, wissend, dass es irgendwann vorüberziehen wird. Also lege ich mir die Rasierklinge flach auf die Handinnenfläche und hypnotisiere mich selbst. Das funktioniert. Immer. Aber es kostet mich ganz schön viel Kraft. Vor allem aber zeigt mir genau das, dass ich zeitnah eine Reißleine werde ziehen müssen. Ich muss mich entlasten, um die Kontrolle zu behalten.
Morgen liegt ein neuer Tag vor mir.

Kommentare

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. Vielleicht liegt gerade was in der Luft. Viele scheinen derzeit sehr dünnhäutig zu sein, ich setze momentan auf die Yoga-u.Sport-Karte, um keinen Unsinn zu machen. Was Geburstage angeht: Meinen feiere ich kaum, denn irgendwie... nun ja... ich kann nichts dafür, dass ich an diesem Tag geboren wurden und ich habe nichts dafür getan. Am Geburtstag des Juniors gönne ich mir allerdings eine Kleinigkeit (ein Glas Wein, ein Buch oder beides^^), denn er ist ein toller Kerl geworden und ja, daran habe auch ich einen gewissen Anteil. Das feiere ich dann, weil ich mich sehr darüber freue. ;)

    Pass auf dich auf.
    (Das könnte ich derzeit andauernd schreiben... es ist der verdammte November...^^)

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    1. Wir sollten alle auf uns aufpassen. Und ein bisschen aufeinander.
      Ja, richtig - die Sport-Karte! Das habe ich mir gestern Abend, als ich im Bett lag, auch überlegt. Darauf zurückzugreifen wäre vermutlich eine wirklich sinnvolle Sache.
      Deine Junior-Tradition finde ich wunderbar!

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  3. ich würde dich jetzt am liebsten einfach nur in den arm nehmen. (der versuch dir den druck zu nehmen)
    schlaf gut. und ja morgen ist ein neuer tag.

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    1. Das klingt ein bisschen, als ob du das Gefühl kennst.
      Heute war ein neuer Tag.
      Jetzt ist es besser.

      Danke für die lieben Worte.

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  4. Alles Gute zum Geburtstag auch von mir.
    Ich feiere meinen schon einige Jahre nicht mehr "richtig" - gegen den Willen meiner Familie, die das nicht verstehen können / wollen.
    Einige Male war ich in der Zeit mit einer Freundin im Urlaub. Letztes Jahr hatte ich hier Besuch. Aber bis auf ein Gläschen Sekt zu zweit wurde nicht gefeiert.
    Dieses Jahr wird es evtl. auf einen Tag ganz allein hinauslaufen, wobei das noch alles unklar ist.

    Du bist Menschen auch wichtig, die sich nur am Geburtstag melden oder die Dir das nie sagen würden. Ist so. Mir sind auch Menschen wichtig, aber ich will ihnen "nicht zur Last fallen" / "sie nicht stören" mit meinem ggf. unpassenden Anruf. Klingt doof - ist es wohl auch.

    Ritzen mag zwar entlasten - tut Alkohol im Übermaß auch - aber es löst keines der Probleme. Finde es gut, wie Du für Dich einen Weg gefunden hast, mit diesem Drang umzugehen.

    Ich wünsche Dir viel Kraft!

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    1. Danke dir.
      Eines lässt du aber unklar (oder ich lese daran vorbei): Warum feierst du deinen Geburtstag nicht mehr?

      Du hast recht: Weder Alkohol noch Selbstverletzung sind eine Lösung. Beides entlastet auch nur kurzfristig. Hilft insofern nicht weiter. Das einzige, was hilft, ist die Dinge, die sich belastend auswirken, zu ändern. So einfach.

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    2. Ich habe kurz vor Jahresende. Da sind schon so einige andere "Familientreffen", wie Du sicherlich weißt. Zudem wohnt die ganze Familie an einem Fleck - ich aber woanders. Und hierher kommen die nicht, weil das ihnen zu aufwendig wäre. Und ich will eben nicht dort noch eine weitere Feier. Ist zuviel Stress für alle in meinen Augen - gibt nur keiner zu.
      Zudem mag ich halt einfach nicht feiern. Was denn auch? Und Geschenke, die ich nicht brauchen kann, will ich erst recht nicht! Auch das funktioniert nur, wenn die Feier ausfällt.
      Ich habe vor einigen Jahren - nachdem immer alle gesagt haben, dass dieses hin- und herschenken zu Weihnachten / Geburtstagen stresst - für mich festgelegt, dass ich nichts mehr gebe und nichts will. Klappt aber nicht, weil "man" das halt so macht.
      Also fällt es aus, ich bin nicht da und gut ist.

      Zitat: "Das einzige, was hilft, ist die Dinge, die sich belastend auswirken, zu ändern. So einfach."
      Das sagt sich aber manchmal leichter, als es ist...

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    3. Stimmt. Manchmal sagt sich das leichter, als es ist. Ich kann fürchterlich pragmatisch sein. Vor allem bei mir selbst. Da dulde ich nicht besonders viel Selbstmitleid. Denn wer leidet, sollte etwas an seiner Situation verändern.

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  5. Auch ich empfinde meine Geburtstage immer als Anlass, zu reflektieren. Und um festzustellen, dass sich verdammt wenig Menschen für meinen Geburtstag interessieren (Same procedure as Christmas t.ex.). Aber wie heisst es so schön: Von Jahr zu Jahr erhöht sich die Zahl derjeniger, die mich ...
    Ich hoffe, Du hast Deinen Geburtstag ohne Nachwirkungen überstanden. Ich drück Dich.

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    1. Ich habe den Geburtstag überstanden, ja. Ohne Nachwirkungen natürlich. Nächstes Jahr wird er besser. Dieses Jahr war ich wirklich... ein Sensibelchen. Vielleicht sind das frühzeitig einsetzende Altersdepressionen? Ich hoffe nicht. Bisher stand ich dem Alter eigentlich entspannt gegenüber.
      Die Umarmung nehme ich gerne. Und drücke dich zurück.
      Danke.

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  6. Liebes Muschelmädchen, als ich den vorangegangenen Post gelesen hatte, war Dein Geburtstag noch nicht herangerückt - und nun ist er schon einen Tag her. Von daher: Alles Liebe nachträglich zu Deinem Geburtstag!!

    Offen gestanden, haben Geburtstage insbesondere in den Zeiten meiner Ehe vor allem eines bedeutet: Stress. Den Stress, die richtigen Geschenke zu finden, die "teuer aussehen, aber nichts kosten" (O-Ton und Forderung meines Ex-Mannes), den Stress, die richtigen Leckereien für die jeweilige Tageszeit (Kaffee, Abendessen) zusammenzukaufen und vorzubereiten. Kochen, backen, braten, schnipseln, rühren... Heute wundere ich mich eher nicht, dass ich Geburtstage nicht als das empfunden habe, was sie mir heute bedeuten: das Glück zu feiern, dass jener Mensch in meinem Leben überhaupt geboren wurde. Dass es ihn damit für mich überhaupt erst gibt. Das mag sich jetzt etwas "überzogen" anhören, und soooo großartig werden diese Tage bei mir jetzt auch nicht zelebriert. Aber das, was ich tue, kommt von ganzem Herzen, und nur das ist es, was ich dem-/derjenigen vermitteln möchte.
    Und seit dem Ende meiner Ehe gibt es auch keine obligatorischen Geburtstags-Familienfeiern mehr bei mir. Ich brauch das auch nicht. Meine Freundin zB fährt jedes Jahr zu ihrem Geburtstag mit ihrem Man an die Ostsee, weil sie den Ort dort so liebt und damit alles andere umgeht. Ich finde das richtig gut so.

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    1. Vielen Dank, liebe Helma.
      Ich mag es, wenn das, was man tut, von Herzen kommt. Das finde ich wichtig. Es ist schön, dass sich für dich die Bedeutung von Geburtstagen verändert hat - hin zu einer positiven Bedeutung.

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  7. Liebes Muschelmädchen,

    herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.

    Wünsche dir alles Gute für das neue Lebensjahr. Richte den Blick auf die vielen schönen Dinge, die dir begegnen werden.

    Miss Feinsinn

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    1. Danke dir, liebe Miss Feinsinn.
      Vor allem für den letzten Wunsch. Den nehme ich mir zu Herzen.

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