Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Von der Einladung zum Dreier

"Hit me like a man, 
love me like a woman..."

(The Pretty Reckless: Hit me like a man)

Die Mittagsrunde tagt. Wie so oft bespricht sie sich zu den Themen Männer und Sex. Da ich mittlerweile die sexuellen Vorlieben und Abneigungen meiner Kolleginnen kenne und ihr Sexleben nicht das meiner Wahl wäre, weil es mir zu sanft und zu unaufgeregt ist, höre ich dieses Mal nur mit einem halben Ohr zu. Zumindest bis es mir zu viel wird. Ziemlich kontextlos und ohne darüber nachzudenken, werfe ich, im vollkommen trockenen Tonfall, ein:
"Nunja. Ein bisschen BDSM kann ja auch nicht schaden."
Als ich aufsehe, blicke ich in lauter entgeisterte Gesichter. Am Tisch herrscht Totenstille.
Einzig die neue Kollegin, die links neben mir sitzt, beißt sich auf die Unterlippe und versucht, sich das Grinsen zu verkneifen. Sie schüttelt leicht den Kopf, so dass ihr die blonden Locken wild ins Gesicht fallen und strahlt mich unter ihrer Haarpracht hindurch unauffällig an. Ich zucke mit den Schultern, als ich aufstehe und nach meinem Teller greife, um ihn in die Küche zu bringen. "Einfach weiterreden!", sage ich, nicke kurz und verabschiede mich zurück an meinen Arbeitsplatz. Bei dem Gedanken, was nun wohl am Mittagstisch besprochen wird, schmunzle ich in mich hinein. Manchmal ist es viel zu leicht, die Mädels aus dem Takt zu bringen. Und definitiv zu verlockend.

Später treffe ich meine Kollegin beim Kaffeeholen in der Küche. Offenbar amüsiert sie mein Einwurf vom Mittagstisch noch immer, denn sie lacht mich offen an. Ich kann gar nicht genau sagen, wie wir darauf kommen, aber plötzlich unterhalten wir uns - ganz das Frauenklischee - über Schuhe.
"Ich liebe Overknees...", seufze ich verliebt.
"Ich habe Overknees, die dir unglaublich stehen würden.", schmunzelt sie mich an, "Du hast phantastische Beine."
"Was denn für welche?", frage ich interessiert.
"Schwarze Lack-Overknees.", antwortet sie.
Und das ist der Punkt, an dem ich schlicht meinem Bauchgefühl folge. Es ist eine reine Impulshandlung: indiskret, direkt, fast schon forsch. Und ich kenne ihre Antwort, noch ehe sie sie laut ausspricht. Ich suche ihren Blick.
"Du bist Swinger, oder?", frage ich, den Augenkontakt haltend.
Für einen kurzen Augenblick sehe ich das Zögern in ihren Augen. Dann nickt sie.
"Woher weißt du...?", sie schaut fragend.
"Intuition." gebe ich zurück, "Ich habe deinen Blick beim Mittagessen gesehen. Im Gegensatz zum Rest am Tisch kannst du etwas mit Dominanz und Submission anfangen. Außerdem halte ich dich generell für einen sexuell aufgeschlossenen Menschen. An der Art, wie du über Sex sprichst, spürt man, dass du mit dir, deinem Körper und deiner Sexualität im Einklang bist."
Nachdenklich sieht sie mich an.
"Das stimmt. Ich gehe manchmal swingen.", räumt sie ein.
"Und du?"
Ich lache leise auf, antworte aber ehrlich:
"Swingen ist nicht so sehr meins.", gestehe ich.
Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber für einen kurzen Moment scheint sich so etwas wie Enttäuschung in ihren Augen zu spiegeln. Deshalb schiebe ich nach:
"Aber ich mag es sehr, wenn man seine sexuellen Vorlieben auslebt, ohne sich dabei an gesellschaftlichen Schein-Tabus aufzuhängen. Solange meine Vorlieben niemanden konkret verletzen, zu nahe treten oder in anderer Art und Weise einschränken, bin ich ein großer Freund davon, sie auszuleben."

Während ich mich an meiner Kaffeetasse festhalte, greift sie nach ihrem Telefon und ruft ihren Mann an. Sie fragt ihn, ob sie mir etwas zeigen darf. Worum es geht, verstehe ich nicht. Das liegt vielleicht aber auch ein kleines bisschen daran, dass ich ihren Mann kenne und somit nicht umhin komme, ihn mir, just in diesem Augenblick, dabei vorzustellen, wie er mit ihr schläft. Er ist ein ausgesprochen schöner Mann. Einer dieser Sorte, die ich normalerweise nicht länger als eine halbe Sekunde lang mustere. Er ist zu schön, um ihn einer näheren Betrachtung zu unterziehen: Groß, strahlend blaue Augen, Adoniskörper. Einen Kopf voll kluger Gedanken. Wenn er nicht so klug wäre, würde er mich vermutlich nur halb so sehr interessieren.
Sie unterbricht mich in meinen Gedanken. Ich weiß nicht, wie lange sie ihr Telefonat bereits beendet und mich beobachtet hat, aber nun schiebt sie mir, ohne dabei etwas zu sagen, ihr Telefon zu.
"Sieh dir die Bilder an.", fordert sie mich auf.
Ich bin folgsam. Klicke mich, Foto für Foto, durch ihre Galerie. Der Anblick, der sich mir auf ihrem Handydisplay bietet, ist erstaunlich ästhetisch. Ein Foto zeigt sie von hinten, bekleidet nur mit Overknees. Ein weiteres als Nonne, in einer recht kompromittierenden Haltung. Auf einem anderen liegt sie, barbusig, auf einer alten Chaiselongue. Normalerweise ist meine Lust mehr als leicht zu entzünden. Aber diese Bilder berühren mich kaum. Wenigstens tun sie das nicht, bis ich zu denen komme, die ihren Mann zeigen. Hübsche Schwarzweißfotografien, die seinen Körper gekonnt in Szene setzen. Nach dem dritten Bild spüre ich, wie sich die kleinen Härchen an meinen Armen aufzustellen beginnen und mir ein kleiner, wohliger Schauer über den Rücken läuft.
"Du hast Interesse...", stellt sie fest.
Dabei sieht sie mich mit festem Blick an und ich habe das Gefühl, mich nicht verstecken zu können. Ich bin niemand, der gut darin ist, seine Empfindungen zu verbergen. Das war ich nie. Aber sie gibt mir nicht mal die Gelegenheit, es zu versuchen.
"Samstag.", sagt sie.
"Samstag, 18 Uhr, bei uns. Ich besorge Wein. Du bist herzlich willkommen."
Während sie mir zuzwinkert und mich kurzerhand wieder verlässt, um weiter zu arbeiten, bleibe ich einigermaßen verwirrt zurück. Verwirrt und sehr, sehr überrascht. 

Es ist unbestritten eines meiner größten Talente, sogar die verstecktesten Fettnäpfchen zu finden und mit Schwung in sie hineinzutreten. Aber das ich mich zu einem Dreier einladen lasse, ohne mich je dafür entschieden zu haben, ist selbst mir neu und toppt die alt bekannte Tollpatschigkeit nochmal um ein vielfaches. Wie schaffe ich es nur immer, mich in solch merkwürdige Situationen hineinzumanövrieren?

Der Rest des Tages verläuft ruhig.
Abgesehen von der sexuellen Anspannung, die plötzlich durch das Büro zu flirren scheint.
Ich werde das Angebot wohl nicht wahrnehmen.

Kommentare

  1. Tauche nie den Füller in Firmentinte.
    Es grüßt der, der diese Weisheit erst lernen musste ;-)

    M.

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    1. Approved.

      (signed, Zaubermann)

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    2. @ M.

      Ja. Richtig. Du hast vollkommen recht. Und ich bin in dieser Richtung tatsächlich auch etwas konservativ - das ist einer von mehreren Gründen, aus denen heraus ich das Angebot ablehnen werde.

      Machen wir doch eine kleine Tradition daraus - wie üblich an dieser Stelle muss ich fragen:
      DER M.? :-) Und ja, das werde ich jedes Mal fragen, wenn jemand mit M. unterschreibt - denn wenn ich berücksichtige, dass 82,67 Millionen Menschen in Deutschland leben und das Alphabet 26 Buchstaben hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit, das noch ein anderer mit M. unterschreibt, nicht gering. Normalerweise würde ich dir die Wahrscheinlichkeit jetzt ausrechnen. Aber es ist 7 Uhr morgens und ich bin noch müde und habe, als Zahlenverächter, gerade keine Ahnung, wo ich einen Taschenrechner finde. Oder Stift und Papier. Ich bitte deshalb um Nachsicht. ;-)

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    3. @Rain

      Wir hatten dazu ja schon gesprochen. ;-) Aber erwähnte ich bereits, dass ich es schön finde, den alten Namen hier zu lesen? Zaubermann. Hach. Das waren noch Zeiten...

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    4. Dumm nur wenn "der M." einen Namen hat, der auch mit dem schreiben der nachfolgenden Buchstaben seines Namens nicht sonderlich die unausgerechnete Wahrscheinlichkeit seines Namens reduziert. Das schreiben des vorangegangenen Satzes dauerte 11 Minuten. Beantwortet dies Deine Frage? ;-)

      Es grüßt aus Sizilien

      M.

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    5. Das beantwortet meine Frage, ja. Und wirft eine neue Frage auf:
      Warum ausgerechnet 11 Minuten? Eine literarische Anspielung?

      Liebe Grüße nach Sizilien, lieber M.
      Du weißt, dass ich mich sehr über deinen Kommentar freue.

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    6. Keine literarische Anspielung, eher der Hinweis auf ein Foto und eine Nachricht...
      Freu mich auch von Dir zu lesen!

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    7. Oh, den Hinweis auf Foto und Nachricht hatte ich schon verstanden - das war einfach ;-)

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  2. Musste gerade laut über das lachen, was du über den Mann der Kollegin geschrieben hast. Für seine klugen Gedanken würdest du dann also notgedrungen auch eine äußerst ansprechende „Verpackung“ in Kauf nehmen? Na das ist ja… äh… sehr selbstlos von dir.^^

    Und sonst kommt das meiner persönlichen Horrorvorstellung einer gruseligen Mittagspause sehr, sehr nahe. Too much information, zu wenig Geheimnis. Vielleicht habe ich aber auch einfach einige Male zu oft „Stolz und Vorurteil“ gelesen und bin da ein wenig verkorkst. ;)

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    1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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    2. Da hast du mir aber gekonnt das Wort im Mund verdreht ;-)
      Intelligenz ist anziehend. Schönheit ist... schön. Aber eine schöne Verpackung allein macht nicht glücklich. Zumindest mich nicht.

      (Entschuldige. Musste den Kommentar einmal löschen. Der reingerutschte Rechtschreibfehler war SO furchtbar, dass dieser Kommentar nicht so stehen bleiben konnte. Ich glaube, ich muss schlafen gehen. Der Tag war lang und anstrengend.)

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    3. Das verstehe ich. Beides. Ich lösche ja auch gerne mal einen Kommentar, weil ich was versaubeutelt habe. Gewöhne mir allerdings mittlerweile an, bewusst mal einen Fehler stehenzulassen, um mir und meinem inneren Perfektionisten zu beweisen, dass sich die Welt trotzdem weiterdreht. ;)

      Und Schönheit alleine? Nein. Das ist eine schöne Dreingabe. Ich persönlich mag ja das dreifache H: Herz, Humor, Hirn.

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    4. Rechtschreibfehler findet man hier ja genug. Meistens bin ich Abends zu erledigt, um wirklich noch alle Fehler zu finden. Leider. Das ist, muss ich zugeben, etwas, was mich wirklich nervt.

      Dein dreifaches H ist toll!

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