Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Von meinem Totalausfall

Eigentlich führt er viele Personalgespräche. Aber immer nur, wenn etwas nicht so läuft, wie er es angewiesen hat. Ich bin eine gute Mitarbeitern. Bin zuverlässig, erledige überdurchschnittlich viele Aufgaben und bin seit meiner Einstellung noch nicht einen Tag arbeitsunfähig gewesen. Ich bin einer dieser (verantwortungslosen) Arbeitnehmer, die selbst wenn sie Fieber haben, pünktlich im Büro auf der Matte stehen. Heute komme ich, das allererste Mal nach 2,5 Jahren, in den Genuß eines Personalgespräches. Er führt es relativ aggressiv. Wirft mir vor, ich wäre dauerhaft genervt und hätte meine Mimik nicht unter Kontrolle. Außerdem ist er felsenfest davon überzeugt, ich hätte vor kurzem die Augen über ihn verdreht.

Schon morgens, auf dem Weg zur Arbeit, sind meine Nerven zum zerreissen gespannt. Der permanente Stress, das arbeiten unter Zeitdruck, die Frustration von Mitarbeitern und Schichtführern, Unmengen von Aufgaben, nie enden wollende to-do-Listen, die 24/7 Rufbereitschaft fordern ihren Tribut. Mein Akku ist 1,5 - Oder 2,5? Ich weiß es nicht mehr. - Wochen nach dem zweiwöchigem Urlaub schon wieder so leer, wie er es vor dem Urlaub war. Es stimmt, dass ich genervt bin und es ist sicher auch wahr, dass ich niemand bin, der sich gut verstellen kann, sodass es sein mag, dass man mir meinen Gemütszustand auch mal am Gesicht ablesen kann. Bestimmt ist auch mein Ton, der grundsätzlich sanft ist, zurzeit ab und an mal eine Nuance schärfer. Was definitiv nicht stimmt, ist der Vorwurf, ich würde über meinen Chef die Augen verdrehen. Das ist so grober Unfug, dass sich mir die Fußnägel hochrollen, sobald ich versuche, darüber nachzudenken. Ich bin, und war zu jeder Zeit, absolut loyal.

Nachdem er mir alles, was er loswerden wollte, gesagt hat, entschuldige ich mich für mein Verhalten. Ich erkläre, dass es nicht meine Absicht war, mich im Ton zu vergreifen oder genervt aufzutreten und betone, dass das nicht meine Art ist. Davon dass ich nicht die Augen über ihn verdreht habe, lässt er sich nicht überzeugen. Er meint, dass er weiß, was er gesehen hat.
Und dann fange ich  - peinlich und vollkommen unprofessionell - an zu weinen. Ich schaffe es einfach nicht, mich unter Kontrolle zu halten und der Versuch, die Tränen zurückzuhalten, endet darin, dass ich schluchzen muss, weil ich keine Luft mehr kriege, aber Luftholen muss, um Atem zu schöpfen. Die Dämme brechen. Und mein Akku ist in diesem Moment so unwahrscheinlich leer. Ich kann einfach nicht mehr. Mir fehlt die Kraft.
So viel Arbeit. Zwar wird sie immer wieder belohnt: Vier Gehaltserhöhungen in 2,5 Jahren, ohne dass ich eine davon selbst verhandelt habe. Sie wurden mir einfach gegeben. Nur resultiert daraus, dass ich mehr und mehr Aufgaben bekomme, weil man weiß, dass die Aufgaben, die man mir gibt, verlässlich und gut bearbeitet werden. Aber jetzt, zurzeit, sehe ich gar kein Land mehr. Und ich fühle mich wie ein Idiot. Weil ich beantragte Urlaubstage verschiebe, wenn es auf Arbeit brennt. Weil mich eine utopische Zielvereinbarung, die man mir im letzten Monat gegeben hat, um mich nochmal richtig zu fordern, vollkommen frustriert. Weil ich funktioniere. Die ganze Zeit.
Bis heute. Mein erstes kritisches Personalgespräch mündet in einem Totalausfall meinerseits.
Obwohl ich normalerweise kritikfähig bin.

Der Chef reagiert...
Ja, wie reagiert er eigentlich?
Erschrocken?
Ja, vermutlich erschrocken.
Er schließt die Tür und nimmt mich in den Arm.
Fragt, was los ist.
Blöderweise kann ich nicht sprechen, weil ich heulen muss.
Und dann erzählt er etwas davon, dass ich sein bestes (und bestbezahltestes) Rennpferd im Stall und sein Stellvertreter bin, dass ich Aufgaben delegieren und nicht immer alles so ernst, nicht für alles Verantwortung übernehmen soll. Dass ich keine to-do-Listen für meine Kollegen mitführen, sondern sie ihre Erfahrungen selbst machen lassen soll. Er fordert mich auf, mit ihm zu reden, wenn mir etwas zu viel wird, anstatt mich zurückzuziehen. Sonst ergeht es mir wie meinem Vorgänger. Den hat mein Chef nach 1,5 Jahren ins Burnout verabschiedet.

Zurück bleibe ich einigermaßen ratlos.
Ich denke, dass ich den Job nicht brauche, dass er - oder mein Chef - aber durchaus mich braucht. Weil ich den Job kann, fleißig und ehrgeizig bin, Arbeit sehe und gerne viel leiste. Mitdenke. Verantwortung übernehme.
Dass ich mittelfristig kündigen werde, weiß der Chef. Aber darüber dass ich mich in den letzten Tagen konkret nach Stellenangeboten umgesehen habe, habe ich ihn nicht informiert. Vermutlich wäre er massiv schockiert. Nichtsdestotrotz habe ich vor, erst zu kündigen, wenn ich einen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben habe. Solange möchte ich den Job behalten. Und nun hadere ich mit mir, ob ich morgen nochmal das Gespräch suchen und mich für mein (genervtes) Verhalten entschuldigen soll. Oder... ob ich es einfach laufen lasse. Ich schätze, dass ich nicht gut darin, es laufen zu lassen. Um gut zu arbeiten, brauche ich einen reinen Tisch.

Kommentare

  1. Antworten
    1. Vielleicht. Vielleicht war das alles aber auch absehbar.

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    2. Soeben war ich versucht, bei Ihnen nach einem Job zu fragen.
      Irgendwie klingt Ihr Job entspannter. Wenngleich wir uns vermutlich beruflich in einer ähnlichen Bildungsschicht bewegen.

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  2. Ich denke, Du solltest Dich nicht entschuldigen. Er hat ja dann sehr positiv auf Dich reagiert und erkannt, dass Du Dir zuviel zumutest. Komme auf seine Angebote zurück! Überlege Dir, was Du delegieren kannst - sowohl nach oben als auch nach unten!

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    1. Ich bin heute Nacht zu dem gleichen Schluss gekommen: Es macht keinen Sinn, das Thema im Nachgang noch mal aufzuwärmen. Letztendlich ist ja, wenigstens vorerst, alles gesagt.
      Danke für deine Meinung! In solchen Fällen, wenn ich so verschwurbelt in meinen Gefühlen bin, ist es total wertvoll, eine Meinung von außen zu hören.
      (Das mit dem Delegieren klingt übrigens nur in der Theorie super. In der Praxis lässt das die Personalbesetzung kaum zu.)

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