Von verhexten Beziehungen

In den letzten Minuten hab ich viele Sätze getippt, nur um sie anschließend wieder zu löschen. Ich kann fühlen, was ich schreiben will, aber es fällt mir schwer, es auf den Punkt zu formulieren: Es beschäftigt mich seit ein paar Tagen mal wieder intensiv, dass ich in den allermeisten meiner Beziehungen das Gefühl habe, nicht gesehen zu werden und nicht gut genug zu sein.  Da ist zum Beispiel die enge Freundin, die mir Tag und Nacht WhatsApp-Nachrichten schreibt, mich quasi in Echtzeit an ihrem Seelenleben teilhaben lässt, aber nicht einmal auf die Idee kommt, mich zu fragen, was los ist, obwohl ich klar formuliere, dass es mir nicht gut geht. Da ist der Mann, der in all den Jahren nicht auf die Idee gekommen ist, mich heiraten zu wollen. Vermutlich weil ich nicht gut genug bin. Was einerseits okay ist, weil ich nicht heiraten will, aber andererseits in stummer Beharrlichkeit das Gefühl in mir erzeugt hat, dafür wohl nicht gut genug zu sein. Ein Gefühl, das schmerzt. Da ist die Freundin

Vom Luxus

"Ist draußen irgendwer, der unsere Namen kennt, für den wir nicht vergessen sind?"

(Rosenstolz: Lied von den Vergessenen)

Ich suche die Adresse ewig. Aber irgendwann finde ich sie doch: Zwischen zwei Neubauten, direkt in der Innenstadt, befindet sich eine dicke, etwa zwei Meter hohe Eisentür. Nach oben besitzt sie Spitzen, die mit Stacheldraht umwickelt sind. Ich schaue am Haus hinauf: Der Putz bröckelt großflächig von der wasserbefleckten Wand. Alle Fenster sind blickdicht mit Tüchern oder Pappe abgehängt. Vorsichtig tippe ich mit dem Zeigefinger gegen die Eisentür, auf die jemand mit Edding eine Hausnummer geschrieben hat. Ich erschrecke mich, als sie tatsächlich nachgibt. Damit habe ich nicht gerechnet. Und ich zögere, ob ich die Tür öffnen soll. Mehrere meiner ehemaligen Mitarbeiter wohnen hier. Alle in der gleichen Wohnung. 12 Menschen auf 35 Quadratmetern. Sie alle sind aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr bei mir beschäftigt. Selbstverschuldeten Gründen wie Diebstahl, Körperverletzung und vollkommene Unzuverlässigkeit. Einer von ihnen hat mich darüber informiert, dass er mich eines Tages windelweich prügeln wird, damit ich meine gerechte Strafe (für die Kündigung) erhalte. Aber der sitzt zurzeit, soweit ich weiß, im Gefängnis.

Hinter der Tür erwartet mich eine schmale Gasse. An den Wänden türmen sich meterhoch blaue und schwarze Müllsäcke. Ein Schwarm Fliegen schreckt auf, als ich der Gasse in den Innenhof folge. Auf dem Boden tummeln sich unzählige Maden. Im Treppenhaus treffe ich ein etwa sechsjähriges Kind. Es trägt einen Schlüpfer und ein fleckiges T-Shirt, riecht nach abgestandenem Schweiß und spielt mit einem Puppenkopf. Ich schenke dem kleinen Mädchen ein Bonbon. Daraufhin drückt sie sich völlig distanzlos an mich und weicht mir nicht mehr von der Seite. Wir setzen uns auf die Treppenstufen. Auf die Frage, wo ihre Eltern sind, weiß sie keine Antwort. Die kommen immer erst Abends wieder. Tagsüber ist hier sonst niemand. Aber ab und an kommt die Tante vom Jugendamt vorbei und erzählt ein bisschen mit ihr. Die ist ganz nett.
Das Mädchen ist viel zu dünn. Auf meine Frage, was sie isst, sagt sie, dass manchmal noch Brot da ist. Irgendwann während unseres Gespräches wird mir klar, dass der Duft nach Fäkalien, der durch das Haus strömt, von dem undefinierbaren Haufen kommt, der einen Meter von uns entfernt in einer der dunkleren Ecken liegt.

An Tagen wie diesen lerne ich, dass ich selbst im Luxus lebe.
Und wenn Sie, die Sie diese Zeilen lesen, mir einen Gefallen tun wollen: Tun Sie etwas Gutes. Egal wann. Egal wem. Egal was. Das Wissen um ein paar gute Taten würde mir heute Abend wirklich gut tun.


Kommentare

  1. Mich erschreckt, dass es diese Zustände in unseren Tagen und in unserem Wohlstand wieder vermehrt zu geben scheint. Und ich fühle mich sehr an Jack Londons "In den Slums" erinnert.

    Der Fahrstuhl nach unten ... Man ist manchmal schneller drin als einem lieb sein kann. Viele Menschen hierzulande dürften nur wenige Gehaltszettel entfernt sein von der sogenannten Gosse.

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    1. Ja, stimmt. Mich erschreckt, dass die Menschen nicht mehr nach rechts und links sehen. Dass so viel Elend in unserer Gesellschaft ungesehen existieren kann. Denn so ist es doch: Wir laufen mit verschlossenen Augen durch die Welt.
      Ich scheue mich immer davor, zu schreiben: Wir sollten so viel mehr Gutes tun. Weil ich kein furchtbarer Gutmensch und/oder Moralapostel sein will. Trotzdem... nagt der Gedanke an mir.

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  2. ich will dir ja nicht die illusion nehmen, aber ich befürchte es wird in zukunft noch schlimmer werden...leider.

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    1. Das glaube ich auch. Ich glaube, dass sich die Gesellschaft immer mehr spaltet. Aber ich wehre mich innerlich dagegen, dass so hinzunehmen. Ein Achselzucken und Wegsehen würde ich als falsch empfinden.

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    1. In der Tat. Aber du dürftest in deinem Job wohl ähnliche Erfahrungen sammeln. Schließlich pflegen wir Umgang mit dem gleichen Klientel. Weshalb ich mich über Kommentare von dir übrigens immer sehr freue.

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  4. Bin mir dessen jeden Tag bewusst, was für ein Luxusleben ich führen darf. Und das meine ich ganz ernst und ich rede da nicht von einem Haus, einem Loft oder zig Designerteilen, sondern von einer Mietwohnung (67m²) und null Designerteilen. ;) Bin mir allerdings ebenso bewusst, auf was für dünnen Beinchen dieses Luxusleben steht.

    Und wenn ich mit offenen Augen durch die Stadt gehe und mir am Abend manche (Park)Bank oder die Bänke in den Buswartehäuschen anschaue, dann befürchte das, was Frau Würfelzucker schreibt. Es ist ernüchternd und desillusionierend.

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    1. Aber warum steuern wir nicht dagegen, wenn uns das Elend auf der Straße erschreckt?
      Weil es uns selbst zu gut geht?

      Bah. Ich mag hier nicht den anstrengenden Idealisten raushängen lassen. Entschuldige.
      Bei der Mietwohnung und null Designerteilen ziehe ich übrigens mit ;-)

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    2. Vielleicht tun viele von uns in ihrem Umfeld und mit bescheidenen Möglichkeiten bereits einiges. ;)

      Kleine, nicht Bundesverdienstkreuz-taugliche Sachen. Zuhören, füreinander da sein, kleine Hilfeleistungen etc. Es reicht nur nicht. Weil es verglichen mit dem, was weltweit zu tun wäre, ein Tropfen auf den heißen Stein ist.

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    3. Ich gebe dir absolut recht. Danke, dass du mich darauf hinweist, dass viele Menschen schon viel tun, selbst wenn die Möglichkeiten manchmal bescheiden sind. Das Elend der gesellschaftlichen Schicht, in der ich mich beruflich bewege, macht mich ab und an so maßlos wütend, dass ich den Blick für die kleinen guten Taten, die es ja gibt, verliere.

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  5. Ich bin mir meines guten Lebens mehr als bewusst. Täglich. Gestern ereilte mich ein Spendenaufruf für die Unwetteropfer in meiner alten Heimat. Ich mache bei solchen Dingen sofort meine Geldbörse auf, und ein für meine Verhältnisse erklecklicher Betrag landet auf dem Spendenkonto. Das ist es, was ich im Rahmen meiner Möglichkeiten machen kann. Ich hätte das nicht kommentiert, würde da oben nicht stehen, dass dir das Wissen um gute Taten helfen würde. Vielleicht hilft es dir auch, wenn ich dir sage, dass ich viele Menschen kenne, die helfen, wo Not am Mann ist. Dieses Wissen macht meine Welt noch reicher, als sie ohnehin schon ist.

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    1. Ich danke dir so sehr - denn ja: Das hilft mir wirklich. ♥

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