Von der anderen Liebe

"Es geht nicht um mich.", sagt er, "Es geht um dich. Es geht immer nur um dich." Seine Arme legen sich um mich, fangen mich auf, er vergräbt flüsternd die Nase in meinem Haar. "Es geht um dich. Es geht um dich. Es geht um dich.", flüstert er und jedes einzelne Wort fühlt sich an, als würde es tief in mich hineinfallen und mich von innen auftauen. Ich glaube, es ging noch nie in meinem Leben um mich. Natürlich tut es das auch jetzt nicht. (Weil es um ihn geht. Ist doch klar.) Aber es tut mir so gut, dass da jemand ist, der mich sieht. Der ohne eine einzige Forderung zu stellen, da ist, mich lieb hat und annimmt, ohne mich ändern zu wollen. Der einfach dankbar nimmt, was ich zu geben habe, ohne mir im Anschluss den Arm auszureißen und mich zu mehr zu drängen als ich geben will. Jemand, der so ein großes Herz hat, so warmherzig, gütig und voller Liebe ist. Ja, vielleicht ist das alles nur eine Momentaufnahme. Vielleicht wird morgen schon alles ganz anders sei

Von der Verführung 2/3



(zu Teil 1)
 
Sie räkelt sich leicht, hebt den Oberkörper an und stützt den Kopf auf ihrer Hand ab, bevor sie mich ansieht. Ich spüre, wie sich unsere Oberschenkel auf dem Sofa berühren. Es ist das erste Mal, dass ich mich frage, ob das hier wirklich nur rein freundschaftlich ist.
Wie um zu prüfen, ob dem so ist, hebe ich mein Knie leicht an. Kaum merklich - zumindest hoffe ich das - drücke ich es ein wenig gegen ihre Beine. Und wirklich: Zu meiner eigenen Überraschung hebt sie ihr obenliegendes Bein ein wenig an, so dass ich meinen Oberschenkel zwischen ihre Beine schieben kann. Ganz sanft bin ich dabei. Denn ich habe keine Ahnung, ob es richtig ist, was ich hier tue. Vermutlich wird sie mich jeden Moment zurückweisen. Doch vorerst bleibt der erwartete Korb aus. Stattdessen greift sie nach einer meiner Hände, die ich unter meinen Kopf gebettet habe. Streicht kaum merklich mit den Fingerspitzen darüber. Und ich bin ganz sicher, dass mir mein Herz gleich aus dem Brustkorb springt.

Ich bin sowas von nicht souverän, dass es fast schon schmerzt. Auch mein Weiterreden täuscht nicht darüber hinweg, denn als ich die ersten Worte ausspreche, zittert meine Stimmt hörbar. Wenigstens aber finde ich in den Redefluss hinein. Und je mehr Sätze ich aneinanderreihe, desto mehr gewinnt meine Stimme an Stabilität.
"Er hat mir alles erzählt. Sein ganzes Leben. Kindheit, Jugend, Erwachsenwerden. Ausbildung, Studium. Seine Familiensituation. Wie er herausgefunden hat, was er im Bett mag. Konkrete Vorlieben. Er hat mir sogar ausführlich beschrieben, was ihn an Dominanz und Sadismus reizt. Und am Ende hat er mich nach Hause gebracht. Als er sich verabschiedet hat, meinte er, ich solle mir all das, was er mir erzählt hat, durch den Kopf gehen lassen. Und wenn ich Fragen dazu hätte, solle ich ihn anrufen. Ich solle mich aber nicht unter Druck gesetzt fühlen. Er wäre auch in Ordnung, wenn ich mich nicht mehr melden würde. Auch das würde er als Antwort verstehen."
"Du hast dich nie wieder gemeldet?", fragt sie.
Ich nicke.
"Ich habe mich nie wieder gemeldet.“, wiederhole ich nachdenklich. „Natürlich wusste ich damals schon, dass mich das Thema interessiert. Gut, Sadismus bereitet mir heute wie damals Angst, aber für Dominanz und Submission hatte ich schon immer viel übrig. Das hat sich bei mir wahnsinnig früh, schon in meiner Kindheit, gezeigt. Aber mit all dem, was er mir erzählt hat, zum Beispiel von seiner Lust, Frauen Schmerzen zuzufügen, sie zu erniedrigen, beim Sex zu würgen und ihren Atem zu kontrollieren, war ich als völliger Neueinsteiger natürlich gnadenlos überfordert. Ausgestiegen bin ich dann, glaube ich, als es um rape-play ging. Est wäre gar nicht unwahrscheinlich gewesen, dass er mich ernsthaft interessiert hätte, wenn er mir seine Vorlieben langsamer nähergebracht hätte. Wer weiß, vielleicht wären wir dann ein Paar geworden."
Bilder aus dieser verrückten Zeit ziehen durch meinen Kopf. Ich erinnere mich daran, wie ich noch am gleichen Morgen, nachdem er mich Zuhause abgesetzt hat, Tante Google mit meinen Fragen bombardiere. Wie ich seine Homepage checke und mir die Fotosessions, die er online gestellt hat, zu Gemüte führe. Und letztendlich ziemlich ratlos zurückbleibe, gleichermaßen erregt wie erschrocken.

"Im Grunde genommen hat er mir die Initialzündung gegeben, die mir gefehlt hat.", sage ich nachdenklich, "Denn ich habe zwar schon, als ich etwa 16 Jahre alt war, Erfahrungen in diesem Bereich gesammelt, hatte das aber einfach wieder verdrängt. Es ist kaum zu glauben, aber man kann sich tatsächlich von dem, was man mag, ablenken lassen und es vergessen. Zumindest kurzfristig."
Eine Zeitlang schweigen wir. Ich schließe die Augen. Konzentriere mich auf ihre Fingerspitzen, die noch immer meine Hand streicheln. Sie ist so sanft zu mir, dass eine Gänsehaut über meinen Rücken wandert. Am liebsten möchte ich dieses Gefühl festhalten.
"Aber jetzt erzähl du mir etwas...", fordere ich sie, noch immer mit geschlossenen Augen, auf. "Immerhin habe ich dich gerade gnadenlos zugetextet."
"Was willst du denn hören?", fragt sie leise.
"Let´s talk about sex, baby…", schmunzle ich, öffne die Augen und sehe sie an. Es bereitet mir Freude, dieses Mal sie verlegen zu sehen. Und es macht mir Mut. Ohne darüber nachzudenken, ziehe ich mein Knie, das noch immer zwischen ihren Beinen liegt, hoch, sodass es kurz vor ihrer Scham zu ruhen kommt. Ich grinse sie an. Dieses Mal offensiv. Provokativ. Einladend.

"Was ist mit Frauen?", frage ich.
"Ich weiß, dass du auch Frauen küsst.", antwortet sie. Viel zu schnell.
"Und ich weiß, dass du das weißt.", lächle ich, "Aber was ist mir dir? Küsst du auch Frauen?"
Ganz behutsam recke ich meine Finger den ihren nun entgegen. Unsere Hände spielen miteinander. Mit den Fingerspitzen kitzeln wir uns gegenseitig behutsam in den Handinnenflächen. Stupsen einander an. Locken uns. Und mittlerweile ist selbst mir klar, dass diese Situation keineswegs mehr unverfänglich ist. Ich kann die Spannung, die in der Luft liegt, fast körperlich fühlen.
"Eigentlich nicht...", antwortet sie mit einem Zögern in der Stimme.
Das "eigentlich" in ihren Worten reicht mir als Bestätigung, um mein Knie nochmals sanft anzuziehen. Ich sehe ihr direkt in die Augen, als es dieses Mal ihre Scham berührt. Ihr Atem stolpert. Eine Welle aus Sehnsucht und Lust rollte durch meinen Körper und verebbt in meinem Unterleib. Ich beiße mir auf die Unterlippe, um mich davon abzuhalten, mich fester an sie zu drücken. Es kostet mich eine Menge Kraft, mich zusammenzureißen. Ich bin so furchtbar hin- und hergerissen zwischen dem großen Wollen und Dürfen und Können und Zweifeln in mir. Weiß nicht so recht, ob ich es wagen soll, weiterzugehen. Die Grenze zwischen richtig und falsch verschwimmt. Also versuche ich ihren Blick einzufangen. Sehe in diese blauen Augen, in denen sich so viel Verunsicherung spiegelt.

"Ich habe keine Erfahrung...", schiebt sie nach. Dabei sieht sie so unwahrscheinlich süß aus, dass ich nicht widerstehen kann. Langsam löse ich meine Hand aus ihrer und rolle mich halb auf sie, mein Bein noch immer zwischen den ihren. Zwei, drei lange Momente vergehen, ehe ich weiß, was ich antworten will.
"Du brauchst keine Erfahrung.", sage ich leise, während ich auf sie hinabsehe. Fast berühren sich unsere Nasenspitzen. "Eigentlich reicht es, wenn du weißt, ob du diese Erfahrung machen willst."
Gerade als ich mich frage, ob ich sie freigeben, ein wenig Distanz zwischen uns bringen soll, legen sich ihre Hände auf meinen Rücken. Von meinen Schulterblättern streichen sie meinen Rücken hinab bis zum Poansatz. Dort schiebt sie die Fingerspitzen unter mein T-Shirt und lässt die Hände ruhen. Sie nickt mit geschlossenen Augen. Und ich stelle fest, wie hübsch sie ist. Die schön geschwungenen Augenbrauen, die langen Wimpern, ihre vollen Lippen - Lippen, die man küssen muss. Mit der Nasenspitze streiche ich leicht über ihre Brauen, ihre Wangen und ihre Unterlippe. Um dann ihre Nase anzustupsen. Als sie die Augen wieder öffnet, lächelt sie mich an. Das kann nur ein "ja" sein, oder? Es muss ein "ja" sein. Zu mir. Ein "Ja, mach weiter."

Ich halte ihren Blick, als ich meine Lippen den ihren nähere und sie schließlich behutsam berühre. Nur ein Hauch bin ich auf ihren Lippen. Kaum spürbar. Und trotzdem fühlt es sich an, als würde es mir den Atem verschlagen. Mein Herz schlägt. Oder ist es ihres? Ich kann es nicht unterscheiden. Einen viel zu langen Augenblick später, fühle ich, wie mir ihre Lippen entgegenkommen. Zarte, kleine Küsse. Scheu.
Nur ganz am Rande bemerke ich, wie ihre Hände tiefer rutschen und sich auf meinen Hintern schieben. Ich werte das als Erlaubnis, deutlicher werden zu dürfen. Mit der Zungenspitze fahre ich schräg über ihre Unterlippe nach oben. Bitte sachte um Einlass. Und sie gewährt ihn mir. Sie öffnet tatsächlich ihre Lippen. Meine Zunge dringt in ihren Mund ein, findet die ihre. Umspielt sie. Erst nur zärtlich, vorsichtig, forschend. Ihr Sicherheit signalisierend. Aber als ich spüre, wie sie sich unter mir zu entspannen beginnt, fange ich an, sie zu necken. So werden aus sanften Liebkosungen lockende, tiefe Küsse. Die ein wenig fordern. Die Möglichkeit von mehr lediglich andeutend.
Und ich denke dabei, dass ich diese Frau mag. Himmel, ich mag sie wirklich.

Kommentare

  1. Wow. Morgens schon Café mit Latte.
    Das lese ich gleich nochmal, und dann geht's ans Kopfdrehbuch!
    Wundervoll erzählt, man glaubt, auf dem Sessel gegenüber zu sitzen...

    Verdammt, ich WÜRDE GERN auf dem Sessel gegenüber sitzen!!^^

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    1. Für die Latte ist das doch zu sanft, Rain. ;-)

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    2. Nö.

      ... und es sei versprochen: oft reicht sogar noch viel weniger als das. Mir zumindest - und ich schätze, Rain tickt da nicht so arg viel anders. 😉

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    3. Vielleicht ist es lediglich wichtig, dass am Ende noch Raum für die Phantasie bleibt...

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